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Der Blog des Goldseelchen-Verlags
Argumentationen rund um ein Urteil zur NS-Mittäterschaft
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„Sie war doch erst 18!“
Die Sekretärin von Stutthof hatte sich aus freien Stücken für die Stelle entschieden. Es gab für sie keine äußeren Zwänge. Sie hatte sogar offensichtlich zuvor eine Stelle bei der Bank. Die Verurteilte beruft sich nach achtzig Jahren nicht einmal selbst auf jugendlichen Leichtsinn. Dennoch wurde ihr Fall nach Jugendstrafrecht behandelt, um ihr damaliges Alter zu berücksichtigen.
Auch 18-Jährige sind zu humanem Handeln fähig und können einen moralischen Kompass entwickeln. Die Gruppe der Weißen Rose um Hans und Sophie Scholl, auf die manche in den Meinungsbereichen als Repliken auf die „Jugendsünden“-Ausreden verwiesen, zeigen, dass auch unter faschistischer Herrschaft und Propaganda jungen Menschen menschliche Aufrichtigkeit, ja sogar Widerstand möglich war.
In Deutschland erreichen Heranwachsende mit dem vollendeten 14. Lebensjahr eine bestimmte Mündigkeit. Dieses Alter ist nicht willkürlich. Psychologische Studien zeigen, dass die allermeisten Jugendlichen ein moralisches und ein Rechtsempfinden haben. Junge Menschen können ihr eigenes Verhalten und das anderer beurteilen und haben dabei auch Standpunkte, die von denen ihrer Eltern abweichen.
Hätten Jugendliche kein Rechtsempfinden, herrschte Mord und Totschlag an den Schulen. In der Konsequenz müsste unsere Gesellschaft eine gleichberechtigte Teilhabe erst nach einer Reifeprüfung gestatten.
Es gibt Menschen, die mit 18 oder 19 keine Moral zeigen. Die gibt es aber in allen Altersstufen. Die 99-Jährige beweist, dass ihr fehlendes Gewissen keine Frage des Alters ist.
„Die großen Täter kamen straflos davon.“
Leider kamen tatsächlich etliche der Befehlsgebenden straffrei oder mit milden Strafen davon. Nach den anfänglichen „Entnazifizierungsverfahren“ und großen Prozessen auf Drängen der Alliierten wurde es in der geübten „Rechtspraxis“ der dann selbstständigen Bundesrepublik plötzlich ruhig. Insbesondere CDU und CSU setzten sich dafür ein, Täter nicht weiter zu verfolgen. Die wahlweise erzählten Legenden, dass man nichts gewusst habe, dass ja alle irgendwie beteiligt gewesen wären oder dass selbst Verantwortliche wie Adolf Eichmann ihr eigenes Handeln nur in blindem Gehorsam ausgeübt hätten, schienen für Rechtsfrieden zu sorgen.
Senkt das die Verantwortung oder Tatbeteiligung der Verurteilten oder zukünftiger Täter und Täterinnen? Keinesfalls. Es ist eine Schande, dass etliche der Völkermörder, Architekten des Mordens und Volksverhetzer mit milden oder keinen Strafen davonkamen. Diese wahrgenommene Freiheit für Verbrechen lässt jetzt gegenwärtig neue Hetzer die Geschichte umdeuten und neue Morde vorbereiten. Gerade deshalb ist es wichtig, dass sich die heutige Gesellschaft auch rechtlich klar positioniert, wo sie es eben heute noch kann.
„Wenn man Mittäter verurteilt, dann wären ja alle dran.“
Allen Ernstes hatte jemand als Meinung geschwurbelt, dass ja auch der „polnische Kartoffelbauer, der seine Kartoffeln ans KZ lieferte“, zur Verantwortung hätte gezogen werden müssen, wenn die Sekretärin Mittäterin sei. Diese fiktive Konstruktion ist übles Victim-Blaming; wer sich das Regime der Deutschen in Polen unter der Besatzung ab 1939 ansieht, dem wird bei einem solchen Satz schlecht.
Dennoch kurz die Argumentation abweisend: Es ist etwas anderes, ob jemand in Gegenwart der Morde Schreibdienste für die Mörder zur Planung der Morde verübt oder ob er den Mördern Kartoffeln verkauft. Nicht der Umgang mit den Mördern macht jemanden zum Mittäter, sondern die aktive Unterstützung bei den Taten. Die kann man in einer Kartoffel eher nicht sehen. Die Sekretärin wurde nicht verurteilt, weil sie Angestellte des Konzentrationslagers war, sondern weil ihre Aufgaben und Stellung sie unmittelbar an den Taten beteiligt sein ließen – und sie trotzdem weiter mitarbeitete.
Hätte die Sekretärin aus dem Homeoffice heraus Kartoffeln bestellt und wäre ansonsten nicht mit dem Geschehen im Konzentrationslager befasst gewesen, wäre sie zwar moralische Mittäterin gewesen, aber, so bescheuert dieses Beispiel auch ist, sie hätte die Taten nicht unmittelbar durch ihr Tun unterstützt.
Uli und sophie in Geschichte am 25.08.2024 um 13.56 Uhr
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