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Der Blog des Goldseelchen-Verlags
Argumentationen rund um ein Urteil zur NS-Mittäterschaft
Irmgard Furchner war fast 20, als das Deutsche Reich sein Ende fand. Sie arbeitete zu dem Zeitpunkt seit zwei Jahren als Sekretärin im Konzentrationslager Stutthof: mit Blick auf den Hof, wo Menschen ermordet wurden. Sie verschriftlichte Diktate der Lagerleitung mit allen Informationen zu allen Vorgängen im Lager. Mit 99 Jahren wurde sie nun wegen Mittäterschaft am Massenmord nach Jugendstrafrecht verurteilt. Vor Gericht sagt sie, sie erkenne keinen Unterschied in der Tätigkeit im Vergleich zur vorherigen Stelle bei einer Bank.
Das bestätigte Urteil vergangener Woche, wonach ihre Verurteilung zur Beihilfe zum Mord rechtmäßig sei, rief interessante Reaktionen hervor: Die Meinungszeilen unter den Meldungen und Kommentaren in Online-Medien füllten sich rasch mit Apologien und Ausreden. Deren scheinbare Argumentation genauer anzusehen, macht offenbar, worin die Stärke des Urteils liegen könnte.
Jeweils ein paar Aussagen und eine Replik dazu:
„Das ist schon so lange her.“
Dass Mord und Beihilfe zu Mord nicht verjähren, ist genau die Konsequenz aus der deutschen Geschichte. Damit sich Menschen, die aus bewusster Entscheidung heraus andere töten, nicht einfach ins Ausland absetzen können und nur ein paar Jahrzehnte warten brauchen, wurde die Verjährung in dieser Hinsicht aufgehoben.
Aus der Tatsache, dass andere Vergehen verjähren und – sogar bei erhobener Anklage und Flucht ins Ausland – deren Verfolgung nach einer Ablauffrist eingestellt werden muss, lässt sich auch kein Anspruch folgern, dass nach irgendeiner Dauer die Beihilfe zum Mord einzustellen wäre.
„Sie ist doch schon so alt.“
Mit dem Alters- oder Gesundheitsargument wird suggeriert, Strafen müssten sich lohnen. Doch der einzige Zustand, mit dem sich einer Beihelferin zum Mord der Strafverfolgung entziehen kann, ist tot zu sein. Verurteilte können dennoch bei der Rechtsprechung damit rechnen, dass das Urteil ihren Gesamt- und Gesundheitszustand berücksichtigt. Chronisch Kranke erhalten medizinische Versorgung; Sterbenden wird ihre Strafe auf Bewährung ausgesetzt. Im konkreten Fall sorgte das angewandte Jugendstrafrecht für eine Bewährungsstrafe.
Würden hohes Alter oder der Gesundheitszustand eine Rolle spielen, ob eine Tat rechtlich verfolgt wird, wäre das ein Freibrief für Hochbetagte oder Sterbenskranke, zu morden.
Uli und sophie in Geschichte am 25.08.2024 um 13.56 Uhr
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