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Der Blog des Goldseelchen-Verlags
Polizeigesetz in Baden-Württemberg soll gefährliche Software nachträglich legalisieren
Palantir: Wer Der Herr der Ringe gelesen oder gesehen hat, dem kommt dieser Name bekannt vor. Der Autor Tolkien nannte die Steine so, mit denen Sauron, das personifizierte Böse, weit über das eigene Territorium hinaus kommuniziert und spioniert.
Nach diesen Gegenständen hat der deutsch-amerikanische Demokratiefeind Peter Thiel sein Technik-Unternehmen benannt. Dessen Software „Gotham“ – benannt nach der „düsteren Stadt der grauen Schatten“ aus dem Batman-Universum – möchten deutsche konservative Länderregierungen für die Polizeiarbeit einkaufen. Im Frühjahr diesen Jahres handelte Bayern einen Vertrag mit Palantir aus. Auch das CDU-geführte Innenministerium Baden-Württembergs schloss sich dem Vertrag an und unterzeichnete ihn. Das geschah eigenmächtig, ohne den Senior-Partner der Koalition, die Grünen, einzubinden.
Nachträglich will die baden-württembergische Landesregierung den Kauf und Einsatz legitimieren. Denn eine Gesetzesgrundlage besteht bislang nicht, um die Software überhaupt einsetzen zu dürfen. Die Landtagsfraktion der Grünen will nun Anfang November einem Polizeigesetz zuzustimmen, mit dem Palantir erlaubt sein soll.
Bild: sophie
(© Eckdose)
Am gestrigen Samstag beteiligte ich mich auf dem Stuttgarter Schlossplatz an einer Demonstration von Computer-Expert*innen, Grundrechts-Bündnissen und Vertreter*innen der Parteien Piraten, Linke, SPD sowie Grüne mit Haltung. Ausführliche Informationen bietet die Aktions-Website „Kein Palantir in Baden-Württemberg“.
Dort lassen sich alle Probleme nachlesen, die bei Menschen, denen das Grundgesetz und eine freiheitlich-demokratische Ordnung etwas wert sind, erschrocken einen Widerstand auslösen. Für alle Lesenden greife ich die Punkte auf, die mich an der Demonstration haben teilnehmen lassen:
Palantir ist in Deutschland illegal. Unter anderem weil es Dinge zusammenführt, die nicht zusammengehören, weil die Software mit unzuverlässigen Daten vorverurteilt und weil sie gegen die informationelle Selbstbestimmung verstößt. Ihre Funktionen verstoßen gegen das Grundgesetz. Deswegen gibt es bisher auch kein vergleichbares einheimisches Produkt. Wie die Funktionen genau funktionieren, behält der US-amerikanische Anbieter für sich. Nur seine Leute dürfen deshalb auch den Einsatz der Software warten.
Palantir Gotham führt alle Daten, die die Polizei hat, zusammen und verknüpft sie mithilfe Künstlicher Intelligenz. Diese Daten werden mehr, weil derselbe Gesetzesentwurf auch vermehrten Einsatz von Kamera-Überwachung im öffentlichen Raum ermöglicht. Man erhofft sich so, verdächtiges Verhalten zu erkennen, ehe es zum Verbrechen kommt. Jeder Science-Fiction-Fan wird jetzt erschrecken. Alle, wirklich alle Gesellschaftsmodelle, die Verbrechensaufklärung im Vorfeld beschreiben, sind zwangsläufig Dystopien. Minority Report macht das Problem sowohl in Philip K. Dicks Kurzgeschichte als auch in der Verfilmung hautnah erlebbar.
Die Daten, die Palantir verknüpft, sind alle Daten. Du hast mal ein Verbrechen gemeldet, hast dich vor zehn Jahren bei einem Post auf Facebook etwas von deiner Wut leiten lassen, siehst aus wie ein Kleinkrimineller, hast eine Meldeadresse in einem sozialen Brennpunkt oder bist oft umgezogen, trägst zufällig denselben Vor- und Nachnamen wie eine vorbestrafte Person? Dann ist es für die Künstliche Intelligenz wahrscheinlich, dass du ein Verbrechen begehen könntest. Willkommen im Visier der Überwachung.
Nicht so schlimm, wenn man sich nicht seltsam verhält? Versuch mal, dir dein Profil allein aufgrund deines Namens von Perplexity oder Mistral Le Chat mithilfe einer Internetsuche erstellen zu lassen. Ich habe es gemacht. Angeblich betreibe ich einen florierenden Holzhandel in Norddeutschland, bin Möbel-Restaurator in Berlin, gebe die Uwe-Johnson-Jahrbücher heraus, habe einen Kleinverlag und arbeite gleichzeitig als agiler Wissenschaftsmanager in Stuttgart. Welche Biografie – und ich habe Glück, dass meine Namensvetter alle so erfolgreich sind!
Angeblich kauft das Innenministerium Baden-Württembergs Palantir Gotham ohne ihre KI-Funktionen. Das wäre dann einfach nur eine riesige Datenbank. Dafür dieses Produkt aus den USA zu kaufen ist unwirtschaftlich, unlogisch und langfristig gesehen unglaubwürdig.
Die Kosten für den Kauf belaufen sich für fünf Jahre auf 25 Millionen Euro, dazu kommen zwei Millionen Euro jährliche Wartungsgebühren. Für dieses Geld könnte man der Polizei in Baden-Württemberg einige Beschaffungen ermöglichen oder ein paar mehr Menschen einstellen. Innenminister Thomas Strobl erzählt ja zu Recht immer wieder, dass er sich bessere Ausstattung und mehr Personal wünscht. Das Geld ist vertraglich ausgegeben, ohne dass für den Einsatz eine gesetzliche Grundlage besteht. Das heißt: Ein Unions-geführtes Ministerium hat wieder einmal Steuergeld ausgegeben, ohne dass das Produkt nutzbar wäre. Das Geld wird so oder so ausgegeben werden – und komplett undemokratisch erpresst die CDU ihren Koalitionspartner, nachträglich zuzustimmen. Die Grünen verlieren ihre Haltung. Statt die Bürger*innen vor einem übergriffigen Unternehmen zu schützen, schützen sie eine andere Partei vor den Konsequenzen derer rechtswidriger Aktivitäten.
Das europäische Datenschutzrecht, die DSGVO, ärgert uns einzelne Menschen zwar mit Cookie-Bannern, schützt uns aber z. B. vor der Willkür ausländischer Firmen und Regimes. Mit dem Cloud Act haben die USA die DSGVO für ihre Unternehmen ausgehebelt. Palantir – und auch Google, Apple, Amazon und Microsoft – können uns keine Datensicherheit bieten. Die US-Behörden können jederzeit auch deine Daten einfordern – und dich z. B. wegen Äußerungen in E-Mails auf eine Flugverbotsliste setzen. Möchte man wirklich Palantir die vertraulichen Daten unserer Polizei und Meldeämtern geben – und dafür auch noch Steuergeld bezahlen?
Dabei gibt es bereits Software, mit denen Datenbanken mithilfe Künstlicher Intelligenz ausgewertet und zusammengeführt werden – und zwar auf legaler Ebene; programmiert, betrieben und getestet in Baden-Württemberg. Die Landesregierung hat gemeinsam mit dem Heidelberger Unternehmen Aleph Alpha die Software F13 für die Landesverwaltung entwickelt. Geniale Vorhaben wie dieses wären mit dem Geld gut zu fördern (und gleichzeitig den Wirtschaftsstandort Baden-Württemberg zu stärken).
Die Grünen argumentieren nun – im Anschluss an die Union – dass die Polizei jetzt und nicht erst in fünf Jahren eine Software für ihre Daten-Groß-Analyse benötige. Das ist ein billiges Argument für ein nun teures Problem. Denn die Kriminalität geht immer mehr zurück. Deutschland hat aber ein wachsendes Nazi-Problem. Das löst man nicht damit, dass man ein Produkt von einem Menschen wie Thiel kauft, der sich öffentlich gegen Demokratie stellt.
Bild: sophie
(© Eckdose)
Insgesamt ist unsere öffentliche Sicherheit dadurch gefährdet, dass Deutschland digital nicht souverän ist. Die CDU könnte Deutschland und Europa mehr zutrauen und Lösungen vor Ort fördern. Stattdessen lässt sie unsere Bundesländer Geld zahlen, damit Feinde der Demokratie Zugriff auf die sensiblen Daten der Bürger*innen bekommen. Man könnte es auch Verrat nennen.
Ob sie diesen Verrat mittragen können, werden die Abgeordneten des baden-württembergischen Landtags am 5. November nur selbst entscheiden können. Geschadet hat Strobl mit der Aktion der Demokratie schon jetzt.
Bei Herr der Ringe endet es so: Ein Palantir ist so gefährlich, dass es sich nur Aragorn, der rechtmäßige König der Guten, erlauben kann, ihn zu verwenden. Alle anderen sind entweder schon vorher böse oder werden direkt von der Apparatur korrumpiert und gehen dem bösen Abgrund entgegen. Vielleicht sind deshalb die anderen Bundesländer so schnell dabei, den Namen der Software zu verschleiern.
Uli in Gesellschaft am 05.10.2025 um 14.11 Uhr
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