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Der Blog des Goldseelchen-Verlags
Werterhaltend leben
Kommt man in alte Ortskerne, die gar nicht mal so abgelegen sind, zeigt sich meist dasselbe Bild: Die Läden stehen leer. Die Häuser verschnoddern unbewohnt vor sich hin. Je nachdem, wie nah die nächste Großstadt ist, rasen Autos ungebremst vom Ortseingangsschild zum Ortsausgangsschild.
Sucht man einen Bäcker, ist man zunehmend genötigt, zum Penny auf die grüne Wiese auszuweichen. Schreibwarenläden können sich oft kaum noch halten. Sie sind gleichzeitig Postfiliale oder gar nicht mehr vorhanden. Obst und Gemüse wird schon lange nicht mehr selbst angebaut. Auf ungepflegten Apfelwiesen ziehen ungepflückte Lebensmittel nur die Fliegen an. Flaniert man an Grünflächen und Wiesen vorbei, werden sie bestenfalls noch maschinell gemäht. Schafe oder Ziegen sieht man immer seltener. Pferde werden noch eher als Sportgerät und Freizeitvertreib gehegt. Kühe sind gar nicht mehr da. Vielleicht noch irgendwo unter Verschluss.
Das soll keine Schwarzmalerei sein und auch keine Zerfallsdiagnose. Das zeigt schlicht ein alltäglich gewordenes Bild in Randgebieten von Ballungsräumen.
„Lohnt sich das denn überhaupt noch?“, werden wir oft im Blick auf unseren Goldseelchen-Verlag gefragt. Was soll man darauf antworten? Die grundsätzliche Frage ist doch: Wofür lohnt sich überhaupt etwas? Unsere Gesellschaft lehrt uns zunehmend, lohnenswert sei das, was maximalen finanziellen Gewinn bringt. Das ist eine Setzung. Und wir sehen, wohin diese Setzung geführt hat, z. B. zu ausgestorbenen Ortskernen.
Weil sich das Geschäft nicht mehr lohnt, müssen die Läden schließen. Die Mieten werden so teuer, dass kein Laden so viel Gewinn erwirtschaften kann, dass er nach Nebenkostenabzug überleben kann. Neulich haben wir in Stuttgart ein altes Ladengeschäft im Jugendstilgebäude bestaunt. Er war unlängst ausgeräumt worden. Vereinzelt lagen noch ein alter Quittungsblock und andere Dinglichkeiten herum, die von einer ganz vergangenen Zeit zu zeugen schienen. „Ja, da war lange der Bioladen“, sprach uns eine Passantin an. „Das Geschäft hat sich nicht mehr gelohnt. Die Miete wurde zu teuer. Jetzt kommt da eine Anwaltskanzlei rein. Das ist wirklich schade. Man weiß gar nicht mehr, wo man einkaufen soll. Ich hatte gehofft, dass vielleicht ein türkischer Supermarkt oder so reinkommt, aber hier kann sich ja keiner mehr die Mietpreise leisten.“
Was ist denn lohnenswert?
„Lohnt sich das denn überhaupt noch?“ – Was ist denn lohnenswert? Lohnt es denn nicht viel mehr, werterhaltend zu leben, zu gestalten, zu konsumieren? Wenn genügend Menschen ein Interesse daran haben, dass Ortskerne überleben können und wenn sie bereit sind, den Bäcker vor Ort zu unterstützen statt die Kette auf der grünen Wiese, dann wäre das nicht nur „in Wertperspektive“ lohnenswert, sondern würde Orten und Kleinläden ganz nebenbei auch das Überleben sichern. Wenn Ortsverwaltungen ein Interesse daran hätten, Kleinbetriebe im Ort zu unterstützen, dann müssten die nicht mit Anwaltskanzleien konkurrieren und dabei immer verlieren.
Sogar das Internet bietet Möglichkeiten. Gerade dann, wenn eine Ladenmiete unerschwinglich geworden ist. Statt im Großhandel oder bei großen Plattformen kann man ohne weite Wege direkt bei Erzeugern bestellen und kaufen. Es gibt in Deutschland nach wie vor Menschen, die selbst Kleidung nähen, Geschirr töpfern oder eben Karten gestalten.
Der Ansatz, die Hersteller und Kleingeschäfte zu unterstützen, ist keine Utopie. Dabei geht es auch nicht darum, irgendwem ein resigniertes Nicken zu entlocken, als sei das ja im Grunde so wahr, wenn es nicht so unaufhaltbar wäre und man sowieso nichts tun könnte.
Ist das denn so? Kann man wirklich nichts tun?
Das Experiment
Ich schlage ein Experiment vor: Sieben Wochen ohne. Sieben Wochen ohne: Einkaufen bei Ketten. Dafür braucht es nicht Passionszeit zu sein. Es müssen noch nicht mal sieben Wochen sein. Es reicht schon, sich ein Mal bewusst zu machen: Welche Läden und Betriebe gibt es denn überhaupt noch bei mir in meinem Ort? Welche Alternativen zu meinen normalen Gewohnheiten habe ich denn beim Einkaufen? Wo würde ich sonst noch Obst und Gemüse herbekommen? Wie könnte ich stattdessen an Milchprodukte gelangen? Und würde es sich nicht ehrlich lohnen, die Erzeuger und Betreiber vor Ort zu unterstützen und damit meinen Ort und letztlich auch meine Lebensqualität zu erhalten?
Jedes Experiment ist ein erster Schritt. Gehen wir ihn einfach mal!
sophie in Lebenskunde am 09.10.2018 um 19.35 Uhr
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