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Der Blog des Goldseelchen-Verlags
Fall und Aufstieg der Margot K.
Sehr nachtragend sind die Menschen, wenn es um Fehler in der Vergangenheit geht. Als gebe es ein öffentliches Sündenregister, braucht nur ein Name fallen. Schon wissen alle bescheid.
Ernst August von Hannover? Ach ja, der hat doch an den türkischen Pavillon bei der Expo 2000 gepinkelt. Reporter verprügelt hat er auch.
Guido Westerwelle? Allein schon die Namensnennung sorgt für Gelächter. Trotz bemühter Seriosität als Außenminister verfolgt ihn die Spaßpartei-Kampagne auf Schritt und Tritt. Die „18“ bleibt an seinen Sohlen haften.
Um mit einer Tat in Verbindung gebracht zu werden, muss man nicht einmal etwas getan haben. Gerüchte oder eine wirksame Vorverurteilung durch Medien reichen aus. Andreas Türck, beispielsweise, oder Jörg Kachelmann, obwohl vor Gericht freigesprochen, sind in der gesellschaftlichen Wahrnehmung als Täter geläufig.
Ob selbst verschuldet oder nicht: Ein solcher „Sünder“ hat kaum noch eine Möglichkeit, Gehör zu finden. Es wird immer Zuhörer geben, die nicht die Person und das, was sie sagt, wahrnehmen, sondern nur die (vermeintliche) Tat vor Augen haben.
Margot Käßmann ist da anders. Immer wieder hört man von begeisterten Menschen, die ihr zuhören. Menschen, die ihr an den Lippen hängen, die sie als Idol und Vorbild preisen. Menschen, die sie ernst nehmen. Obwohl sie geschieden ist. Obwohl sie mit scharfen Worten die Politik verurteilte. Obwohl sie stark alkoholisiert eine rote Ampel überfahren hat.
Irgendetwas muss Käßmann richtig gemacht haben, wenn sie nicht einfach Glück hatte.
Was sie äußerlich unterscheidet von den (vor)verurteilten „Sündern“, ist ihr Geschlecht. Sie ist eine Frau, gehört dem schwachen Geschlecht an. Frauen sind Opfer, Männer nicht. Deswegen sind auch Türck und Kachelmann auf ewig als Täter gespeichert.
Dazu kommt ihre beendete Ehe. Käßmanns Scheidung präsentiert sich bei ihr nicht als Ehebruch, sondern als Ent-Scheidung, als Selbstverwirklichung. Geschiedenen Frauen dient sie als Vorkämpferin, noch nicht geschiedenen Frauen als Vorbild. Käßmann kämpft allein, hat keinen Mann als Unterstützung an der Seite. Fehler sind ihrem Alleinsein anzurechnen, was Vieles entschuldigt.
Aber Käßmann tritt nicht primär als Frau in Erscheinung. Ihr kurzer Haarschnitt, ihre unweibliche Kleidung lassen sie eher burschikos, knabenhaft erscheinen. Ihre Ämter, ihre Auftritte sind die Ämter und Auftritte von Männerrollen: Führungspersonen, Philosophen, Denker, die einmal auf den Tisch hauen. Frauenrollen sind mütterlich, einfühlend, verständnisvoll. Weniger Worte, als viel mehr Gesten und Ausstrahlung bringen sie mit.
Käßmann war einmal ganz oben. Ein mächtiges, medienwirksames Amt hatte sie inne.
Viel Unzufriedenheit war aus den männerdominierten evangelischen Landeskirchen über die Wahl einer Frau zur EKD-Vorsitzenden zu hören gewesen. Etliche Protestanten empfinden nach wie vor eine Frau in der Pfarrer-Rolle als falsch. Käßmann kam dies auch zugute: Die Frau, die gegen Widerstand und Vorurteile kämpft.
Das Amt war von Vorgänger Wolfgang Huber zu einer Art evangelisch-deutschem Pontifikat ausgebaut worden. Huber inszenierte seine eigenen Thesen als die evangelische Lehrmeinung. Er stellte eigene ethische Überlegungen als die evangelische Ethik dar.
Diese Rolle verband sich bei Käßmann mit der Person. Hatte es ihr zuvor an Glaubwürdigkeit gemangelt, weil man ihre geschiedene Ehe als wenig vorbildlich in einem hohen kirchlichen Amt betrachtete, verstanden manche bereits ihren Amtsantritt als göttliche Weisung. Indem sie es auch noch im Amt gegen alle Kritik aushielt, wurde ihr dies als Stärke und Integrität gedeutet. Mit jedem Vorwurf wuchs bei den Anhängern die Bereitschaft, sie zu verteidigen.
In dieser Lage war Käßmann jedoch manövrierunfähig geworden. Wuchs ihr das Amt da nicht über den Kopf? Jedes Wort, das sie sagte, wurde als Aussage der evangelischen Kirche interpretiert. Als sie sich zum Krieg in Afghanistan äußerte, hagelte es Kritik. Insbesondere aus der kirchennahen Union. Sie stand im Rampenlicht und musste den Anschein wahren, dass sie EKD-Boss kann. Bloß keine Schwäche zeigen! Alles andere wäre Wasser auf den Mühlen ihrer und der Frauen Feinde gewesen.
Ein Rücktritt hätte das öffentliche Bild einer starken Einzelkämpferin zerstört. Aus Käßmann wäre eine unglaubwürdige Gestalt wie Westerwelle geworden.
Wie ein Glücksfall kam da die nächtliche Alkoholfahrt in Hannover über die rote Ampel.
Wer ertränkt nicht einmal gerne seinen Alltagsstress in ein paar Gläschen Wein? Und rote Ampeln sind nachts überflüssig, wo doch sowieso alle schlafen. Etliche ehrliche Autofahrer mussten zugeben: Auch sie haben schon rote Ampeln überfahren. Und vielleicht auch mit Wein im Blut die Heimfahrt angetreten.
Die angebliche Menge des Blutalkohols und die Tatsache, dass die Presse sofort davon erfahren hatte, erscheinen auch heute noch merkwürdig. Man kann Absicht unterstellen, weil es letztlich so gut gepasst und geklappt hat.
Binnen Tagen war Käßmann vom Sünder zum Opfer geworden. Eine kurze Erklärung, eine öffentliche Ent-Schuldigung und eine überzogene Bußmaßnahme haben sie nicht nur rehabilitiert, sondern gleich zur Heiligen gemacht. Mit einem Streich war der Wind aus den Segeln der Angreifer genommen, war die andauernde Medien-Aufmerksamkeit vom Amt abgezogen und auf Käßmanns Person übertragen worden und die Beschädigung des Amtes repariert.
Seither hat Margot Käßmann keine Verpflichtung mehr, dafür eine Aufmerksamkeit und Anerkennung, die nicht abreißt. Bei Veranstaltungen darf sie umjubelte Reden halten. Sie ist zum Gesicht der EKD geworden, ohne offiziell mit einem Amt in Verbindung stehen zu müssen. Man hat sie zur Luther-Botschafterin ernannt, druckt ihr Foto auf Selbstfindungsratgeber und Seelentrösterbroschüren. Käßmann ist in, ist Idol, ist Identifikation.
Hätte ihr jemals jemand die Alkoholfahrt zum Vorwurf gemacht, so wäre er ab dem Zeitpunkt der Umkehr zum Sünder geworden, der andere mit Steinen bewirft.
In dem Augenblick, indem er der Sünder seine Schuld anerkennt und seine Tat bereut, erhält er Vergebung. Indem nicht auf andere gezeigt wird, sondern der Balken im eigenen Auge benannt wird, erscheint der Sünder vor seinen Mitmenschen glaubwürdig. Bereits Paulus hat sich zum Wortführer erhoben, indem er seine blutrünstige Vergangenheit als Christenverfolger bekannt hat.
Die Inszenierung von Fall und Aufstieg der Margot Käßmann ist ein gelungenes Musterbeispiel evangelisch-lutherischer Medienarbeit.
Uli in Medien am 01.05.2013 um 20.28 Uhr
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