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Der Blog des Goldseelchen-Verlags
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Deutsche Sprache: Warum Sie die „Richtungspfeile“ unterscheiden sollten und „Ausländer raus“ keinen Sinn ergibt.

Hin und her

Um relative Richtungen anzugeben, braucht es weder Wegweiser noch Navigations-Koordinaten. Das Deutsche bietet mindestens seit der althochdeutschen Sprachstufe zwei eindeutige Adverbien: hin und her. Sie sind es wert, genauer angesehen zu werden.

Wenn jemand „hin und her“ geht, wo kommt er dann letztlich an? Die Antwort überrascht Sie vielleicht. Er wird nämlich nicht hin und weg, also auf und davon sein. Er wird wieder „dorthin“ gelangen, wo er „herkam“. Das ist dort, wo die Person steht, die spricht. „Hin und her“ sind die Strecken vom Ausgangspunkt zu einem abgelegenen Punkt „hin“ und die Strecke „her“ zum Ausgangspunkt.

Wie „Kommen“ und „gehen“, nur als Adverb

Verwenden wir die Adverbien in der Alltagssprache, fällt vielleicht nicht auf Anhieb auf, dass es ein Teil eines Gegenteilpaares ist. Die Wörter werden auch nicht mehr sauber unterschieden. In einigen Verwendungen wird es deutlich. „Ich werde hingehen“, drückt den Entschluss aus, einen anderen Ort aufzusuchen. „Komm her!“, ruft Frauchen beispielsweise einem Hund zu, der sich zu weit entfernt hat. „Gehen“ – in der engeren Bedeutung von „weggehen“ – enthält bereits die Richtung des „sich von etwas Entfernens“. „Kommen“ dagegen bedeutet, sich auf etwas zuzubewegen.

Man kann zwar sagen: „Geh her!“, doch das klingt weder hochsprachlich noch nach einer ernst gemeinten Aussage. Mein fränkischer Großvater sagte dies als Ausruf des Unglaubens: „Geh her!“, will heißen: „Ich glaube Dir kein Wort.“

Genauso ist es mit „Komm hin“. „Hin kommen“ bedeutet nicht dasselbe wie „hin gehen“. „Hin kommen“ beschreibt den Prozess, zu einem anderen Ort zu gelangen. Ein Schwerpunkt auf die Ausgestaltung des Weges, mitunter eine größere Anstrengung steckt darin.

Raus und rein

Die Nazi-Parole „Ausländer raus!“ ist nicht nur dumm. Sie ist auch noch sprachlich falsch. Da „raus“ die Kurzform von „heraus“ ist, fordern die Faschisten, dass die Angeschrienen sich gegen die Sprechrichtung zu ihnen her begeben sollen. Die Nazis müssten außerhalb des Ortes stehen, den „Ausländer“ ihrer Meinung verlassen sollen. Bei einem Gebäude, das fackel- und springerstiefeltragende Paramilitärs umzingeln, würde schrecklicherweise die Parole sprachlich Sinn ergeben. Als Allgemeinforderung bedeutet „Ausländer raus“ vom Standpunkt Deutschland semantisch korrekt interpretiert, dass Ausländer „heraus“ aus dem Ausland kommen sollen: rein nach Deutschland.

Diese Dummheit fällt auf sprachlicher Ebene leider nicht mehr auf. Die gegenwärtige Sprache unterscheidet nicht mehr präzise bei den Vorsilben. Meine Großmutter aus der Aschaffenburger Gegend schickte mich noch „nuff“ (hinauf), wenn ich in den ersten Stock „hinaufgehen“ sollte, oder sie ging „nunne“ (hinunter), wenn sie sich vom ersten Stock zur Küche ins Erdgeschoss begab. Man ging mittags „naus“ (hinaus) in den Garten und hinterher wieder „nei“ (hinein) ins Haus. Verkroch ich mich unter der Eckbank, rief sie mich korrekterweise „Kimm raus“ (heraus). „Kimmt rei“ (herein), sagte sie, standen wir als Besuch vor der Tür.

Und wie merke ich mir das jetzt?

Wo mir die Unterschiede besonders deutlich wurden, war, als ich die Richtungsangaben und Sprech-Standorte auf eine Gebäudesituation übertrug und Pfeile mit Ausgangs- und Zielpunkten vorstellte. Stellen Sie sich ein Haus vor. Es gibt innen und außen. Da lassen sich folgende Aussagen unterscheiden:

„Herein“ / „rein“

Die sprechende Person steht innerhalb des Gebäudes. Sie bittet an der Haustüre die Besuchenden „herein“ zu sich selbst oder ruft das außerhalb spielende Kind durchs Fenster „herein“ zum in Sprechnähe befindlichen Essen. Segenssprüche sagen: „Tritt herein, bring Glück ins Heim.“

„Heraus“ / „raus“

Die sprechende Person steht außerhalb des Gebäudes. Sie bittet an der Haustüre die Bewohnenden nach außen. Die Spielkameraden rufen das Kind in seinem Zimmer: „Komm raus!“ und wollen, dass es dem besseren Spiel an ihrem Standpunkt, außerhalb, beiwohnt.

„Hinein“

Die sprechende Person steht außerhalb des Gebäudes. Sie schlägt Begleitern oder sich selbst vor, das Gebäude zu betreten – also weg vom Standpunkt außen „hin“ nach innen.

„Hinaus“

Die sprechende Person steht innerhalb des Gebäudes. Sie schlägt Begleitern oder sich selbst vor, das Gebäude zu verlassen – also weg vom Standpunkt innen, „hinaus in die Welt“.

Übertragener Sinn

Für Zustände eignen sich „hin und her“ auch. „Hin“ ist die Kurzform für „hinüber“, defekt, kaputt, tot. „Es ist hin!“, bedeutet, etwas hat die Schwelle zwischen Diesseits und Jenseits überschritten – und die Diesseitigen verlassen. „Her“ gibt es in dem Sinn zwar nicht einzeln. Allerdings lässt sich etwas „herstellen“ oder „wiederherstellen“. Dann ist es nicht mehr jenseitig, sondern hat wohl einen Zustand erreicht, der beim erwartbaren Standpunkt liegt. Ist der voraussichtlich noch länger nicht erreicht, muss man noch auf ihn „hinarbeiten“.

„Ich bin raus“ heißt: Ich habe das Thema, das Gespräch verlassen bzw. bin nicht einverstanden. Ich habe mich „herausbegeben“ aus dem Gedankengebäude. Mein Standpunkt ist außerhalb.

Exkurs mit falschen Freunden: Drinnen und draußen

Entgegen mancher Vermutung enthalten „drinnen“, „draußen“, „drüber“, „drunter“ nicht die Richtungsangabe „her“. (Jemand kann zwar „da herinnen“ sagen, das ist aber nicht der Wortursprung, sondern der Versuch, einen vermeintlichen Dialektausdruck ins Hochdeutsche zu übertragen.) Die hypothetischen Gegenteilworte „dninnen“, „dnaußen“ und so weiter gibt es nicht. Nicht einmal im Dialekt. Das sind die besten Indizien.

„Drinnen“ für „innerhalb“, „draußen“ für „außerhalb“, „drüber“ für „oberhalb“ und „drunter“ für „unterhalb“ sind zusammengezogen aus „darinnen“ usw. mit „dar-“ als eine Vorsilbe, die eine Richtung auf das oder einen Ort beim Bezeichneten darstellt. „Dar-“ ist unabhängig von der sprechenden Person. Vollständig findet sich die Vorsilbe noch in „darreichen“ oder „darstellen“. Ob etwas „drinnen“ ist, sagt also nicht aus, wo sich die sprechende Person befindet.

Plädoyer für mehr „Hin und Her“

Sich mit der Sprache und ihren Feinheiten zu beschäftigten, kann den Wortschatz bereichern. Mit präzisem „Hin“, da, wo es „hingehört“, nämlich weg vom Sprechstandpunkt, und „Her“, hin zur sprechenden Person, gewinnen Aussagen und Forderungen schlagkräftige Präzision. Sie müssen zukünftig nicht mehr nur sagen, dass Sie „raus“ sind, sondern können sich auch „hinein“ begeben in Debatten und um einen guten Standpunkt „herum“ die Argumente ausbreiten.

Denken Sie daran: Es kann Sie niemand „(he)rauswerfen“, denn wo stünde dann der Werfer?

Uli in Philosophie am 26.03.2023 um 14.03 Uhr

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