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Der Blog des Goldseelchen-Verlags
Was Karfreitag heute bedeuten kann
Karfreitag. Wieder einmal. Wie vermutlich seit fast zweitausend Jahren denken heute Christinnen und Christen auf der ganzen Welt daran, dass Jesus an diesem Tag gestorben ist. Und was heißt das jetzt für heute, für mich?
Grundsätzlich ist ein Gedenktag nichts Ungewöhnliches. Wer geliebte nahe Angehörige oder Freunde verloren hat, wird die ersten Jahrtage traurig sein und sich des Fehlens bewusstwerden. Die Trauer könnte überschatten, dass draußen Frühling ist und die Vögel fröhlich sind. An späteren Jahrtagen bleibt vielleicht eine Erinnerung, das Datum oder der bestimmte Tag ist mit der Person verbunden.
Aber Jesus ist mir zum einen nicht über den Weg gelaufen. Ich kannte ihn nicht einmal vom Sehen. Und zum anderen ist er auch nicht erst im vergangenen Jahr gestorben. Sein Tod fand etwa vor 1990 Jahren statt. In der Zeit würde ich mich auch als trauernde Witwe damit arrangieren, dass ich schöne, sehr gute Jahre mit meinem Partner hatte.
Doch dass die Zeit des Zusammenseins weniger als ein halbes Prozent ausmacht im Vergleich zu der Zeit, die ich nun schon alleine wäre, wäre mir klar. Vielleicht würde ich ein Kerzchen anzünden. Aber würde ich mich seelisch jedes Jahr aufs Neue in die Situation hineinsteigern, wie es damals war, als man ihn folterte und ermordete?
Über die ganze Christenheitsgeschichte hinweg gab es Denkerinnen und Denker, die überlegt haben, welche Bedeutung es hat, dass Jesus starb, und das auch noch so unwürdig mit dem heftigen Leiden vorneweg. Manche nahmen es als Impuls, Leid und Ermordung Jesu als Rechtfertigung zu nehmen, anderen Menschen Leid und Tod zuzufügen. Andere suchten konstruktive Glaubensbotschaften aus dem Karfreitag zu ziehen.
Paulus von Tarsus, der erste bekannte Missionar, von dem Briefe überliefert sind, schrieb etwas von der Torheit vom Kreuz. Heute kaum verständlich, wenn man nicht vorher Jude wird oder seelisch gefangen ist in Gesetze, Bräuche, Schuldvorstellungen, Minderwertigkeitskomplexe. Man könnte verkürzt sagen: Indem ich mich taufen lasse, sterbe ich symbolisch mit Jesus mit. Dabei stirbt alles ab, was mich hemmt, ein freier, liebender Mensch zu sein.
Manche konzentrierten sich in ihren Überlegungen darauf, dass Gott als Jesus wie Menschen gelitten habe. Oder wie Menschen gestorben sei. Die Botschaft im Leiden Jesu an die Menschen wäre: Wenn ich über mein Leid im Gebet klage, weiß Gott, wovon ich rede. Er erfuhr das Leiden bis zum Tod.
Ein allmächtiger, allwissender, allgütiger Gott braucht keine Leiderfahrung als inkarnierter Mensch, um zu wissen, was Leid ist. Meinem Glauben entspricht es außerdem, dass der Schöpfer in Beziehung zur Schöpfung steht. Darum wäre die Interpretation, dass Gott mitleidet, nur eine zusätzliche Botschaft an uns Menschen, denen konkrete Handlungen, Gleichnisse, Bilder wichtig sind.
Bei Jesus kommt außerdem dazu: Er ist auferstanden. Am dritten Tag nach seinem Tod marschierte er aus seinem Grab und lief seinen Freundinnen und Freunden übern Weg. Wäre Jesus nicht auferstanden, würde er sich einreihen in die Gruppe von weisen, heiligen, charismatischen Personen, die jemand wegen ihrer Überzeugung umbrachte.
Ergibt sein Leiden und Sterben einen Sinn ohne die Auferstehung? Die Auferstehung vom Tod befreit zu Mut, Angstlosigkeit und Nächstenliebe. Sie schafft die Gewissheit, dass das irdische Leben nicht alles ist. Dass nach dem Tod noch Leben ist.
Vom Blickwinkel der Auferstehung aus ist der Tod keine Niederlage – oder gar ein Versagen, von dem wir wörtlich sprechen, wenn etwa Organversagen zum Tod führt. Wenn der Tod eintritt, wie es in jedem menschlichen Leben mindestens abschließend der Fall ist, dann ist das stärkste Glaubensbild für mich, dass Jesus seine Anhängerinnen und Anhänger danach wieder traf. Dass der Tod nicht das letzte Wort hat.
Auch wenn Jesus selbst sich am Kreuz von Gott verlassen fühlte: Jesus hat den Weg in den Tod bewusst gewählt. Er flüchtete nicht vor der Verhaftung, er wehrte sich nicht bei der Festnahme und bekannte sich auch angesichts der Folter zur Wahrheit.
Wenn ich mir Jesus an diesem Punkt zum Vorbild nehme, heißt das nicht, dass ich suizidal oder leichtsinnig werden sollte. Ich sollte auch nicht gezielt herumlaufen und Krankheiten einfangen oder Krankheiten weitergeben.
Zu wissen, dass es weitergeht, dass nach dem Tod die Auferstehung kommt, dass Jesus vor dem Tod nicht davonlief – all das heißt für mich bezogen auf die Gegenwart: Ich selbst brauche keine Angst vor dem Tod zu haben, weil er nicht das Ende ist. In diesem Wissen brauche ich auch nicht andere medizinisch oder emotional am Sterben hindern und ihr Leiden verlängern, wenn die Zeit für sie gekommen ist. Ich brauche mich ebenso wenig mit scheinbar christlichen Argumenten gegen Freiheit, Gemeinschaft, Gewaltlosigkeit, Lebendigkeit einsetzen, um damit den Tod alter Menschen noch eine kleine Weile hinauszuzögern. Diese Menschen wären vielleicht – anders als jene, die über sie entscheiden – längst bereit, aus diesem Leben zu sterben.
Karfreitag bedeutet für mich heute: Es ist Frühling! Die kahlen Bäume werden allmählich wieder grün. Die Vögel in ihren Ästen singen uns mit fröhlichen Liedern von der Schönheit dieser Schöpfung.
Ich lebe. Ich lebe ohne Angst vor dem Tod, weil ich weiß, dass ich nach dem Tod ohne Angst lebe.
Uli in st.eckdose am 02.04.2021 um 13.00 Uhr
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