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Der Blog des Goldseelchen-Verlags
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Unseretwegen. Für uns

Das hat keiner für möglich gehalten. Keiner hätte das von ihm gedacht. Klar, er war immer schon anders – und nicht im positiven Sinn, nee nicht im positiven Sinn. Irgendwie fiel er immer raus.

So wie wenn man weit und breit nur Wüstensand sieht und mitten drin eine kleine Pflanze. Erst denkt man sich noch: „Wie kann das denn sein, mitten in der Wüste?“. Dann denkt man sich: „Das kann doch nicht sein mitten in der Wüste!“ Und dann reißt man das kleine Grün aus. Es passt einfach nicht ins Bild. Erst wenn es weg ist, ist wieder alles schöner Wüstensand. Naja, ungefähr so war er eben auch. Ich weiß, das Bild ist ein bisschen schief, aber er war ja irgendwie auch so anders, dass es schwer fällt, treffende Worte zu finden. Er fiel halt auf. Nicht dass er besonders schön gewesen wäre, nein das nicht. Im Gegenteil, er war überhaupt nicht schön. Man wollte ihn nicht gerne ansehen. Das kann man nicht sagen. Gefallen hat er eigentlich keinem. Auch nicht, was er gemacht hat. Wahrscheinlich wollte deswegen auch keiner was mit ihm zu tun haben. Er war eher so der Typ, der in miesen Klamotten in der Ecke steht. Eher so der, auf den man mit dem Finger zeigt, tuschelt und naja: Er hat halt einfach nicht dazu gehört. Von Anfang an nicht. Gut, ein bisschen ein schlechtes Gewissen hat man im Nachhinein schon. Aber, er hat sich halt auch einfach angeboten. Er hat sich ja auch nie beschwert. Er war halt schon so das gefundene Opfer.

Gut, als er dann auch noch krank wurde, das war schon gemein. Da wollte erst recht keiner mehr was mit ihm zu tun haben. Könnte ja anstecken oder so. Demonstrativ haben dann immer alle die Nase gerümpft. „Wer stinkt denn da so?“, hat man es manchmal gehört. Da hat er aber auch nichts gesagt. Nee, da hat er auch nichts gesagt. Um ehrlich zu sein, konnte einen das schon fast agressiv machen. Ich mein, irgendwann musste der doch reagieren. Das hält doch kein Mensch aus?

Es hätte wirklich keiner für möglich gehalten. Keiner hätte das von ihm gedacht. Dass er unseretwegen krank ist? Nee, auf die Idee sind wir nicht gekommen. Dass er unseretwegen leidet? Er hätt`s ja auch mal sagen können. Hat er aber nicht. Wir haben halt gedacht: Gut, das ist ein Pechvogel. Der zieht`s halt einfach an. Und naja, wahrscheinlich kann ihn nicht mal Gott leiden, haben wir so gedacht. Der hat ihm ja auch nicht geholfen.

Ja, und dann hat es ihn richtig fertig gemacht. Es hat ihn aufgefressen, zerschlagen, zermürbt. Richtig mies. Dass jeder Schlag unseretwegen war? Ja, das hätte doch keiner ahnen können, oder?

Jedenfalls haben wir es nicht geahnt. Jeder hat halt so sein Ding gemacht. Keiner hat sich für den wirklich interessiert. Jetzt komm ich noch mal mit einem Bild. Also wenn man sich so eine Schafherde vorstellt und die hat keinen Hirten, ja? Und dann wissen die ja gar nicht, was recht ist und wo sie sein sollen und was sie machen sollen. Da laufen alle wie blöde umher und wissen nicht, was sie tun. Ja, so waren wir. Das weiß ich aber auch erst jetzt. Wahrscheinlich war er überhaupt der einzige, der wusste, worum es eigentlich geht.

Und obwohl er das wusste, hat er alles mit sich machen lassen. Hat kein Wort gesagt, sich treten lassen. Ja und dann war er irgendwie das Schaf, dass man dann auch noch geschlachtet hat. Nichts hat er dagegen getan. Kein Wort.

Dann war`s aber auch endlich vorbei. Dann war er tot. Aber nee, nicht mal auf dem Friedhof sollte er dazu gehören. Man hat ihn schön dort begraben, wo er weit möglichst weg ist. Wollt ja nichts mit ihm zu tun haben, immer noch nicht. Obwohl es manche schon kapiert hatten, dass er irgendwie ihretwegen so gelitten hatte. Und irgendwie konnte man ihm ja auch nicht wirklich was vorwerfen. Er hatte ja nichts getan. Nichts gesagt.

„Unseretwegen und für uns.“ Das klingt mir jetzt, wenn ich`s so erzähle, die ganze Zeit in den Ohren. Ganz verstehen kann ich das immer noch nicht, aber da muss was dran sein: „Unseretwegen und für uns.“ Das hieß es dann bei der Trauerfeier. Aber irgendwie war`s dann auch gar nicht so traurig. Da wurde erzählt, was ihn jetzt erwartet und was uns jetzt erwartet. Dass jetzt alles in Ordnung gekommen sei, hieß es. Dass es jetzt Leben in Fülle geben würde und dass man jetzt endlich verstehen werde. Dass es jetzt keine Rolle mehr spielen würde, was wir alle getan haben, dass er das erlebt hat, was eigentlich wir verdient hätten. Man hat uns keine Vorwürfe gemacht. Nee, das nicht. Gar nicht. Ich sag ja, es war eigentlich gar nicht traurig oder beklemmend, eher so befreiend, hm – erlösend. Nicht dass wir noch die große Rechnung erwarten müssten oder so. Nee, eben nicht, sondern dass er die Rechnung für uns beglichen hat. „Stimmt so.“ Einfach so.

(Nach Jesaja 53,1–12)

sophie in st.eckdose am 18.04.2014 um 16.36 Uhr

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