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Der Blog des Goldseelchen-Verlags
Im Wald lebt ein Rudel Wölfe. Diese Wölfe sind fremd hier; sie kamen im Zuge der Wildschutzgesetze über die Grenze. Nun leben sie dort. Ungestört, nicht aggressiv. Die Menschen der Umgebung dulden sie. Bis eines Tages jemand kommt und sagt: „Im Ort X haben Wölfe ein Huhn gerissen.“ Das regt die Menschen auf. Denn solange Wölfe nichts tun, stören sie ja nicht. Sie dürfen ruhig im Wald umherlaufen. Aber Hühner holen? Im Ort X haben sie es ja auch getan, heißt es nun. Also könnten sie es hier auch bewerkstelligen. Und die Bauern ihrer Existenzgrundlage berauben. Oder gar anderes tun, gar Schafe oder etwa Menschen anfallen. Da wären sämtliche Schäfer bedroht.
Die Leute in dem Ort kommt zum Entschluss, dass die Wölfe gefährlich seien und es unhaltbar sei, sie zu halten. Die Gefährdung ist schließlich real. Weil der Fremde eben ja gesagt hat, im Ort X sei es vorgekommen, dass ein Huhn geholt worden sei. Die Menschen meinen daher, wenn es im Ort X ein Huhn war, dann ist das hier mindestens ein Schaf. Genau darauf hat der Schäfer aber keine Lust. Er will seine Schafe behalten und die Wolle später noch verkaufen. Also sagt er: Die Wölfe müssen weg.
Jeden Abend im Wirtshaus werden die Wölfe schlimmer und bedrohlicher. Sie wachsen gar auf Bärengröße an und einer sagt, er habe von jemandem gehört, einer habe erzählt, sein Onkel hätte gewusst, Wölfe hätten ein Rind gerissen. Das nun ist allen Menschen im Ort nicht mehr geheuer, sie haben eine riesige Wut auf die Wölfe, die einfach so in ihrem Wald ihr Unwesen treiben. Und als eines Tages ein Kind vom Spielen heimkehrt und eine offene Fleischwunde am Unterschenkel hat (es hat sich beim unerlaubten Klettern in der Scheune an einer Pflugschar böse aufgerissen), fürchtet es sich, die Wahrheit zu erzählen. Tränenüberströmt behauptet es, Wölfe hätten es angefallen.
Die Bauern in dem Dorf sind sauer. Sie spüren den kochenden Zorn in ihrer Brust und ziehen noch am selben Abend mit Fackeln, Flinten und Fallen in den Wald, um den Wölfen, die so furchtbar ihr Unwesen treiben, den gar aus zu machen. Wie eine Hexenjagd ist die Szenerie. Fackelschein leuchtet auf erhitzte wütende Gesichter, Kinder rennen aufgeregt zwischen den forschen Schrittes stapfenden Männern umher. Empörtes Aufschreien ist zu hören.
Die Meute streift durch den Wald, scheucht alles Getier auf, was irgendwo sich aufhielt. Und sie zieht den Hang hinauf, vorbei am Felsen, bricht nieder was nicht stark genug ist und geht geradewegs dorthin, wo man der Wölfe sicheren Bau weiß. Dort sind sie auch, zähnefletschend, der Leitwolf, die zwei Wölfinnen und eine Schar von Welpen, die in Sicherheit gebracht werden.
Eifrig legen die Männer an, jagen munter das kleine Rudel. Es knallt, mehrfach. Hinfort jagen die grauen Pelze.
Als die Sonne aufgeht, ist der Wald aufgewühlt, alle Tiere sind verängstigt, der Jäger kriegt wochenlang keinen Hasen mehr zu Gesicht. Und im Wald lebte ein Rudel Wölfe.
Was sagt diese kleine Geschichte aus? Menschen fragen nicht und erkundigen sich nicht nach der Wahrheit. Man braucht ihnen nur etwas zu erzählen, egal ob es wahr ist oder nicht. Wenn es ein ereiferndes Thema unterstützt, einen Hass schürt, dann ist ein kleiner Satz wie ein Stochern im Wespennest.
Ähnlich läuft es in Deutschland zur Zeit mit der Fremdenfeindlichkeit. De Wölfe sollten das Bild sein für Migranten und Ausländer, meinetwegen Muslime. Das Huhn, das im Ort X gerissen wurde, ist ein beliebiges Attentat von Extremisten. Irgendwo auf der Welt. Freilich: Menschen kommen bei diesen schrecklichen Attentaten ums Leben. Und Tausende fürchten sich, frei auf der Straße zu gehen oder sich in ein Café zu setzen. Aber was kann der Pakistani von nebenan dafür? Was kann der nette Gewürzladen-Türke von der Straßenecke dafür? Nichts. Ebenso wie die Wölfe in unserem Wald nichts für das gerissene Huhn (ob das überhaupt passiert war, wissen weder wir, noch die Anwohner) können.
Wenn man jemanden beschuldigt, muss dieser jenige auch Schuld sein. Ansonsten kann ich eine Ähnlichkeit mit jedem X-Belieben suchen und aufgrund dessen einen Generalverdacht aufstellen. Meinetwegen: Ein Attentäter hatte einen grauen Bart. Kann ich daraus folgern, dass der SPD-Vorsitzende Kurt Beck ebenso ein möglicher Attentäter ist? Der Drahtzieher eines Attentats ist Rollstuhlfahrer. Kann Wolfgang Schäuble dann, ebenso gefährlich, demnächst ein Attentat organisieren? Ein Amokläufer in den USA war pietistisch erzogen und stark engagiert in einer evangelikalen Gemeinschaft. Ist das Grund, Günther Beckstein als möglichen Amokläufer zu beobachten?
Nein. Das sind keine Gründe. Genauso wenig, wie es ein Grund ist, Menschen, die aus anderen Staaten stammen und muslimischen Glaubens sind, ein besonderes Gefährdungspotential zuzuschreiben. Sie sind eine Randgruppe. Deswegen kann man ihnen leicht die Schuld geben. Und wenn Politiker den Hass schüren, wie etwa Günther Beckstein, der stets durchblicken lässt, dass für ihn Muslime ausländischer Herkunft in Deutschland nicht willkommen seien, dann ist nicht verwunderlich, wenn an der einen oder anderen „brennenden“ Stelle der Mob auf Migranten, insbesondere Dunkelhäutige, losgeht. Wie etwa in Ostdeutschland, wo Schuldige für die Arbeitslosigkeit und die allgemeine Misere gesucht werden.
Frei nach dem Motto: „Die machen Attentate, essen kein Schweinefleisch und glauben an Allah – also nehmen sie uns auch die Arbeit weg.“, werden Inder durch den Ort gehetzt oder mal eben so Schwarzafrikaner verprügelt. Dass die Politiker hinterher dafür Schuldige suchten, wie es überhaupt dazu habe kommen können, verwundert nicht. Der Vorwurf trat auf, auch wider das Gros der Bevölkerung, man habe „weggeschaut“.
Da brauche ich doch gar nicht erst wegsehen, um zu merken, dass der Hass, die Grundlage für diese unhaltbare Situation, nicht von alleine kommt. Wer pauschalisiert und kategorisiert, schafft automatisch Abgrenzung. Und die Ausgegrenzten sind die Sündenböcke, die Schuldigen. Wie die Wölfe in meiner Geschichte.
Und wenn sie erst einmal tot sind, merkt keiner mehr, dass sie eigentlich lammfromm waren.
Uli in MAT: Sonstiges am 08.09.2007 um 15.29 Uhr
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