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Der Blog des Goldseelchen-Verlags
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„1984“ und eine Inszenierung

Erschreckende Gegenwart


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Bild: Uli
 (© Eckdose)

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Heutige Leser können aber genauso ihre kapitalistisch geprägten Gesellschaften erkennen. Die Propaganda Ozeaniens berichtet von einer äußeren Bedrohung durch Eurasien und Ostasien, mit denen Krieg herrscht, und von einer inneren Bedrohung durch den Dissident Emmanuel Goldstein, der die Partei hasst.

Unsere äußere Bedrohung ist „Terrorismus“ (sei es roter Terror in den 1970er Jahren, sei es der Islamismus seit den späten 1990er Jahren), angesichts dessen die Bevölkerung die Überwachung des öffentlichen und privaten Raumes zulässt. Auch innere Bedrohungen haben wir: Vereinzelung, Neid, Bedeutungslosigkeit. Geschickt manipuliert unsere Propaganda, die Werbeindustrie, wenn sie vorgaukelt, dass neue „intelligente“ technische Geräte und permanente Erreichbarkeit das Leben vereinfachen und Kontakte verbessern würden. Dass die Kanäle, auf die wir zurückgreifen, auch genutzt werden, um auf uns zurückzugreifen, ist eigentlich auch bereits vor Edward Snowdens Enthüllungen bekannt gewesen. Spätestens mit der flächendeckenden Verbreitung mobiler Telefone seit etwa 2000 ist der Große Bruder die Realität, in der wir leben. Unser „Neusprech“ steht nicht in Wörterbüchern. Der gedankenlose Medienkonsum macht uns zu den leicht handzuhabenden Proles, der gleichgeschalteten Unterschicht aus „1984“.

Umso erschreckender ist es, wenn eine Bearbeitung des Roman-Stoffes sich selbst unbemerkt zum Teil der „Parteipropaganda“ macht. In Stuttgart lässt sich zur Zeit eine solche missbrauchende Inszenierung im Alten Schauspielhaus besuchen. Bereits die verwendete Adaption als Theaterstück verkürzt die Handlung auf wenige zusammenhanglose Standbilder mit vielen Sex- und Nacktszenen. Den Großteil der Darstellung füllt die Folter, die in allen Details ausgeführt und dem Publikum aufgenötigt wird. Um ansatzweise an die Romanvorlage zu erinnern, wurde das Betonoptik-Bühnenbild von Videoprojektionen flankiert. Deren Asynchronität machte jedoch eher technische Rückständigkeit als eine allgegenwärtige Überwachung sichtbar. Insofern wurde „1984“ nicht als Dystopie eines Überwachungsstaats aufgeführt, sondern als unfreiwillige, schwer erträgliche Karikatur des Publikums und seiner Gesellschaft.

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Uli in Kunstkultur am 22.02.2015 um 13.22 Uhr

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