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Der Blog des Goldseelchen-Verlags
Musikalische Reise in die Barockzeit
Eine brodelnde Stille der Begeisterung – oder der Irritation – befüllte die Mittelstädter Martinskirche nach dem letzten Amen der Vesper zum dritten Advent. Bis das Publikum den lang anhaltenden Applaus wagte, musste es sich des Erlebten bewusst werden. Eine evangelische Dorfkirche am äußersten Nordrand Reutlingens war in den Genuss einer hochklassigen Gottesdienstintonation gekommen. Unter der Leitung des jungen Genialen Nikolai Ott hatte der Kirchenchor Psalmen und Stücke aus Südamerika einstudiert. Von einem kleinen Instrumental-Ensemble und einer Mezzosopranistin begleitet, gelang es, der Schlichtheit der Kompositionen gerecht zu werden und das Publikum in die von Jesuiten geprägte Geistlichkeit des 18. Jahrhunderts auf der Südhalbkugel zu entführen.
„Confitebor tibi Domine“ – „ich will dir danken, Herr“ – so war die Vesper überschrieben. Die drei Worte sind der Anfang des lateinischen 110. Psalms, eines Teils der Darbietung. Vertont wurde der Psalter im frühen 18. Jahrhundert vom Domenico Zipoli, der aus Europa vor seinem Theologenberuf geflohen war. In Südamerika, wo Komponisten rar waren, wurde er wegen seiner Begabung mit dem Vertonen der Psalmgebete beauftragt. Vor dem Konzert führte Nikolai Ott lebendig und begeistert erzählend in die Epoche ein, berichtete vom Mangel an Instrumenten und der Freude, mit der die Jesuiten die Stundengebete zum Lob Gottes abhielten.
Mit Bratwurst nichts zu tun
Auch die Vesper erklärte Ott. Mit der mitgebrachten Haller Landschwein-Bratwurst habe sie nichts zu tun. Die Mönche beteten seit dem frühen Mittelalter sieben Mal pro Tag. Wenn die Arbeit fertig war, kam das sechste Gebet an die Reihe, die Vesper, an die sich das Abendessen – schwäbisch „s’Veschper“ – anschloss. Unter Benedikt von Nursia wurden auf die Tagzeitengebete die 150 Psalmen der Bibel so verteilt, dass in einer Woche der komplette Psalter gelesen war. Der Kirchenchor in Mittelstadt sang nun die Psalmen 109 bis 112.
Eine durchweg großartige Vorführung war es, die die etwa 30 Laiensänger der evangelischen Kirchengemeinde eingeprobt hatten. Ein Eröffnungslied erklang in der Indio-Sprache Quechua. Der Rest war Latein: Ohne die Texte lesen oder verstehen zu können, trugen sie die Verse in gut modulierter Dynamik vor. Im Wechselgesang mit der Solistin Sarah-Lena Eitrich, die mehr auf emotional getragene Melodie als Aussprache setzte, wurde das Gotteslob laut. Den männlichen Solistenpart übernahm Ott selbst.
Kein Bachkonzert. Trotzdem Wow.
Der Klang von Gottes Wort wurde getragen von einem kleinen Orchester, bestehend aus Flöte, Truhenorgel und einem Streicherquartett: Nicola Pfeffer an der Flöte, Regina Böpple an der Orgel, Julika Lorenz und Greta Göst an Violinen, Daniel Götte am Violoncello und Tobias Jud am Kontrabass stützten mühelos den Chor mit barocker Musik, die, so Ott, zwar kein Bachkonzert sei, jedoch nicht an Verzierungen mangelte. Besonders beeindruckend war die Leistung der jungen Blockflötistin, die ohne mit der Wimper zu zucken oder aus der Puste zu kommen den schnellen Gesangkaskaden der Sopranistin Paroli bot.
Uli in Musik am 14.12.2014 um 22.10 Uhr
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