Dieser Netzauftritt verwendet Sitzungs-Cookies
Näheres erfahren Sie in der Datenschutzerklärung.
Der Blog des Goldseelchen-Verlags
Wahrer Mut ist geblümt
Seite 2 von 2
Leicht verunsichert blickt Richard wieder in ihr Stickeralbum. Skeptisch nimmt Jannik das Klebeband und lässt sich von Lara einen Stift geben. „Schreibst du mir auch ein Schild“, bittet Richard mit der ruhigen, hohen Stimme Lara.
Angesprochen, ob „Richard ein Mädchen oder ein Junge“ sei, erklärt mir die Lehrerin der Klasse, dass das Kind „eigentlich ein Junge“ sei. Aber „Er sagt von sich selbst: Ich bin wie ein Mädchen.“ In der ersten und zweiten Klasse sei er häufig im Kleidchen gekommen. Seine Interessen, das konnte ich selbst beobachten, entsprechen denen seiner Mitschülerinnen. In der Gruppenarbeit sitzt er während meiner Unterrichtsstunde nur mit Mädchen am Tisch. „Er ist voll integriert. Die anderen Kinder akzeptieren ihn so, er ist sogar sehr beliebt.“ Seine Geschwister seien auch schon an der Schule gewesen. Die Brüder seien gerade das Gegenteil, nicht ruhig, sondern wild, total auf Sport ausgerichtet.
Ist Richard nun ein Mädchen oder ein Junge? Wenn ein Kind Lara heißt, Sticker sammelt, lange Haare hat und in der Pause Seil springen geht, dann ist es ein Mädchen. Zweifellos. Wenn ein Kind Jannik heißt, kurze Haare hat, einen Softball durch die Klasse kickt und in der Pause seine Mitschüler beim Tischfußball abzockt, dann ist es ein Junge. Zweifellos. Wenn ein Kind Richard heißt, Sticker sammelt, lange Haare hat und in der Pause länger fehlerfrei Seil springt als Lara, dann zweifeln wir.
Zweifeln – weil wir Richard für ein Mädchen gehalten haben? Bis plötzlich der Name das Kind in eine Schublade geschoben hat, in die es so gar nicht hinein passt? Oder zweifeln, weil ein Kind, das „eigentlich ein Junge“ ist, sich verhält und offenbar fühlt wie ein Mädchen?
Noch, in der vierten Klasse, ist der Unterschied kaum erkennbar. Die Haarlänge hilft anderen, in die Geschlechtsschublade zu sortieren. Spätestens bei den Interessen könnte eindeutig geordnet werden. Allerspätestens, wenn das Kind erklärt: „ich bin ein Junge“ oder „ich bin ein Mädchen“. Unmöglich ist das Einordnen, wenn dem Kind gerecht werden soll.
Später kommen dennoch unweigerlich die Fragen des Sortierens. Was tun die Eltern? Was tut das Kind? Abwarten, bis der Stimmbruch den ruhigen Richard zum Bariton verwandelt? Oder Östrogene geben, damit der Stimmbruch anders verläuft? Abwarten, bis sich „das“ mit der Pubertät „legt“?
In meinem Kopf singt Lou Reed vor sich hin:
„Holly came from Miami, F-L-A. Hitchhiked her way across the USA. Plucked her eyebrows on the way, shaved her legs and then he was a she. She says hey babe, take a walk on the wild side ...“
Uli in Gesellschaft am 12.06.2011 um 11.30 Uhr
Werkzeuge: |