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Der Blog des Goldseelchen-Verlags
Fragwürdige Identifikation mit einem Zeichen
„Ich identifiziere mich mit dem Unterstrich. Deswegen muss da der Unterstrich hin.“, sagt die Theologiestudierende an der Berliner Humboldt-Universität. Während die meisten Menschen froh sind, wenn sie sauberes Trinkwasser, ausreichend Essen und eine Menschen-würdige Arbeit haben, können in der Hauptstadt der Bundesrepublik Probleme erfunden werden, die an Science-Fiction denken lassen.
Der Unterstrich läuft quer zum Schrägstrich. Den Schrägstrich hatte die Verwaltung eingeführt, um umständliche Schreibweisen zu vermeiden. Umständliche Schreibweisen sind entstanden, als sich einige Menschen nicht mehr als Studenten, Professoren oder Beamte sahen, sondern Wert darauf legten, Studentinnen, Professorinnen oder Beamtinnen zu sein. Handbücher „zur nichtsexistischen Sprachverwendung in öffentlichen Texten“ wurden gedruckt. Keine und keiner dürfte in dieser Gesellschaft benachteiligt werden.
Statt „Hinterbliebene und Hinterbliebener“ wurde erlaubt, „Hinterbliebene/r“ zu schreiben. Der Schrägstrich als Alternativzeiger, im Lesefluss eine ätzende Bremse. Zudem sprachlich nicht immer machbar. In etlichen romanischen Sprachen liegt zu jedem Beruf, zu jeder menschlichen Typisierung eine männliche und weibliche Variante vor. Auch im Plural werden diese verwendet. Ist eine Gruppe Friseure weiblich, dann sind es in Frankreich die „coiffeuses“, die die Haare schneiden. Tritt ein einziger „coiffeur“ dazu, werden aus dreißig „coiffeuses“ und einem „coiffeur“ „des coiffeurs“. Tritt in Deutschland zu einer Gruppe von dreißig Aufsichtsräten eine Aufsichtsrätin dazu, kommt dagegen Gleichberechtigung zum Zuge. Die Angesprochenen sind „sehr geehrten Damen und Herren“. Der Schrägstrich funktioniert hier nicht.
Seit die Diskriminierung Homosexueller zumindest aus dem Gesetz verbannt wurde, entdecken zahlreiche zuvor Unterdrückte ihre neue sexuelle Identität. Mensch sieht sich – gegenüber der ignoranten Masse – als queer. Es ist ein Laufen gegen den Strom. Grenzen sollen fallen, reicht „nichtsexistische Sprachverwendung“ nicht mehr aus.
War es bislang politisch korrekt, auf dem Gottesdienstablaufzettel „Lektor/in“ zu schreiben, fühlen sich nun jene Theologiestudierenden diskriminiert, wenn sie in ihrer „queeren Identität“ nicht berücksichtigt werden. Mit einem typographischen Zeichen schleichen sich die Nichtfestgelegten und Nichtfestlegenwollenden in die gedruckte Sprache ein. Nicht schräg will mensch sein, sondern queer. „Ich identifiziere mich mit dem Unterstrich. Deswegen muss da der Unterstrich hin.“, fordert die Lektor_in bei der Vorbereitung zum Gottesdienst.
Klare Trennung hebt sich auf, Lesende sind beim ersten, beim zweiten Mal noch irritiert. Weder Mann, noch Frau ist der/die/das angehende Pfarrer_in. Würde doch im alltäglichen Sprachgebrauch, in der Begegnung mit den Mitmenschen die queere Identität nicht einfach nur als schräg und fordernd ankommen! Der Unterstrich ist nicht verbindendes Element. Er formt eine neue Abgrenzung. Statt zwischen Mann und Frau läuft die Linie zwischen queer und der unflexiblen, festgelegten Mehrheit.
Dieses Querstellen wird zum endlosen Spiel. Je häufiger Einrichtungen oder Regeln geändert werden, desto unsteter und schnelllebiger werden sie. Es wird immer Menschen geben, die sich nicht festlegen lassen möchten. Soll dann ein Ungleichheitszeichen, ein Pluszeichen oder eine Raute beigefügt werden?
Wer seine Identität zu sehr an ein Zeichen hängt, könnte aus Angst vor dem Korrekturroller glatt vergessen, Mensch zu sein.
Uli in Gesellschaft am 30.05.2011 um 16.38 Uhr
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bärbel am 23.08.2012 um 16.07 Uhr.