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Der Blog des Goldseelchen-Verlags
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Migrant - Fremdling - Inländer

Fremdstämmiger Landesinsasse


Für „Migranten“, „Menschen mit Migrations-Hintergrund“ oder „Deutsche mit Migrations-Hintergrund“ suchte vor einiger Zeit die „TAZ“ eine alternative Bezeichnung. Diese Suche ging, soweit ich weiß, ergebnislos aus. Kein Wunder, wird doch der Wortbestandteil „Migration“ entweder als abwertend oder als nicht zutreffend gesehen. Darüber hinaus ist er im Deutschen nichtssagend.

Vorschläge, man möge doch einfach von „Menschen“ reden, zielen am Grundsatz vorbei. Ein Begriff ist ja deswegen notwendig, um in einer Unterscheidung eine Personengruppe zu benennen. Klar: Würden wir sämtliche Nationalitätenbegriffe vermeiden, käme unser Denken auch vom Nationalbewusstsein weg. Toleranz wäre eine Folge. Es gäbe nur noch Menschen. Oder eben nicht, denn allein schon ein „Mensch aus dem Nachbarhaus“ kann bei bestimmten Mietverhältnissen eine deutlich wertende Kategorisierung bedeuten. Faktoren wie Kleidung, Auftreten, Sprechweise, Beruf, Weltanschauung sind jedem Menschen eingeschrieben. Mit Wörtern lässt sich zwar eine Welt bauen. Vorurteile aber lassen sich mit Begriffen nicht ausräumen.

Das zeigt zum Beispiel die Entwicklung von „Kaffer“, „Nigger“, „Neger“, „Schwarzer“ zu – ja wer denn? Im Vermeiden des „Neger“ bleibt bei Ausdrücken wie „Starkpigmentierter“ doch das rassistische Vorurteil einer Hautfarbe gegenüber.

Martin Buber lebte von 1878 bis 1965. Er war ein deutsch-jüdischer Religionsphilosoph. Vorurteile aufgrund einer kulturellen oder religiösen Herkunft kannte er wohl gut. Obwohl ihn die Leitkultur-Sarrazin-Integrationsdebatten noch nicht beschäftigt hatten, beschäftigte auch ihn die Suche nach genauen Begriffen. Mit hohem Gefühl für Wörter und Sprache setzte er seine Ausdrücke genau.

Ein hebräisches Wort in den alten israelitischen Gesetzen bezeichnet eine Menschengruppe, die wir heute als „mit Migrationshintergrund“ nennen würden. Das Wort lautet „Ger“ und wird gewöhnlich mit „Fremdling“ übersetzt. Würde ich heute den Bäckermeister Özgür, der besser deutsch spricht als mein „deutscher“ Nachbar Torsten, als „Fremdling“ bezeichnen, würde das Befremden auslösen. Özgür ist in Deutschland geboren, sieben Jahre älter als ich.

Im alten Israel gab es Menschen, die von der „Gesellschaft“ deutlich als Nicht-Hebräer wahrgenommen wurden. Sie waren der Allgemeinheit auf gewisse Weise „fremd“. Darum grenzte man einen „Ger“ aus. Man ließ ihn nicht mitmachen.

Martin Buber nun schreibt über ein Gesetz, das diese Ausgrenzung eines „Ger“ tadelt, folgendes: „In der alten Gesetzesfassung wurde das Gebot, den fremdstämmigen Landesinsassen, den ‚Ger’, nicht zu unterdrücken, von der Mahnung begleitet, und dem Gefühl der Hörer nahgebracht: Ihr seid ja Gastsassen im Land Ägypten gewesen (Ex 22,20), oder noch deutlicher: Ihr kennt ja die Seele des Gastsassen, denn ihr seid Gastsassen im Lande Ägypten gewesen (23,9), das heißt: ihr wisst aus eurer eignen Erfahrung, wie es dem Ger zumute ist, so machet denn, da ihr jetzt obenauf seid, ihn nicht leiden, wie ihr gelitten habt!“ (Martin Buber, Der Glaube der Propheten, Heidelberg, 1984, 203)

Neben der Begründung, das Volk sei im Ausland ja selbst unterdrückt worden, spricht Buber den neutralen, sehr treffenden Begriff: Ein fremdstämmiger Landesinsasse ist es, dieser Mitmensch. Er sitzt im selben Land wie Du und Ich. Was ihn unterscheidet, wenn man denn unterscheiden möchte, ist sein Herstammen. Eine Nationalität wird egal. Der fremdstämmige Landesinsasse ist Inländer, ohne Wurzeln aufgeben zu müssen.

Uli in Philosophie am 12.01.2011 um 11.10 Uhr

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