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Der Blog des Goldseelchen-Verlags
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Begegnung

Ghasem


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Bild: Uli
 (© Eckdose)

Dunkle Haare, lose über die Ohren gekämmt, verdecken seine Stirn. Seine gebräunten Gesichtszüge könnten die eines Anden-Bewohners sein. Lebendige, tiefdunkle, freundliche Augen lassen sein Alter jünger wirken, als es die Falten tun. Erfahrungen, Erlebnisse, auf die er liebend gern verzichtet hätte, haben diese Furchen über sein liebenswertes Lächeln gelegt.

„Ich bin Ghasem“, sagt er, und seine ruhige, helle Stimme macht ihn noch sympathischer. Ghasem lebt im Südwesten Deutschlands in einer Kreisstadt. Mit viel Eifer lernt er dort deutsch sprechen und schreiben. Jede Gelegenheit zur Übung nimmt er gerne wahr. Schließlich will er bald einmal arbeiten. Hier, in Deutschland, wohin er vor einem Jahr kam.

„Das geht doch nicht. Wir können die nicht dalassen. Sonst kommen die alle und nehmen uns die Arbeit weg“, sagt eine Studentin in der Kleinstadt, wo Ghasem deutsch lernt. „Die alle“ meint: Menschen, die nicht in Deutschland geboren wurden. Menschen, die es nicht wert sind, dass sie überleben. Menschen wie Ghasem. Flüchtlinge.

Viele Studenten sind etwa gleich alt wie Ghasem. Seit ihrem sechsten Lebensjahr gehen sie – mit wenigen Unterbrechungen - zur Schule oder in die Universität. Die meisten haben noch nie wirklich gearbeitet. Ghasem hatte seit seinem zehnten Lebensjahr den Pflug auf den Weizenfeldern in seiner Heimat gezogen. Wie einen Rucksack spannte er ihn über die Schultern. Davor hat er auf seine Geschwister aufgepasst, Getreide gesät und gedroschen. So, wie es seine acht Geschwister auch tun.

Bei den Erzählungen über sein Heimatdorf in den Bergen im Süden Afghanistans ist keine Verbitterung zu hören. Nur einmal wird er traurig, als er gefragt wird, warum er denn weggegangen ist – von seiner Familie, seinem Haus, seinen Feldern, seiner Heimat. Taliban kontrollieren den Landstrich im Bergland. Das ist schon lange so. Ghasem ist nie zur Schule gegangen, da die Taliban alle Grundschulen verboten haben.

Während die Bauern Getreide anbauen, um den Menschen den Rohstoff für Brot zu liefern, führen die Armeen der Amerikaner und der Briten Krieg gegen den Terror. Unterstützung erhalten sie dabei von den Deutschen. Sei es, dass die Armeen in Afghanistan zusammenarbeiten. Sei es, dass die deutsche Regierung den Krieg mit Worten unterstützt.

Ghasem hat diesen Krieg gegen den Terror als Bombardierung und Zerstörung seines Dorfes erlebt. Viel will er nicht sagen, der Schrecken ist noch nicht alt genug. Die Menschen, die ihm etwas bedeuten, sind knapp 7000 Kilometer entfernt.

Stattdessen erzählt er davon, wie froh er ist, in Deutschland sein zu können.

Uli in Gesellschaft am 22.05.2011 um 09.31 Uhr

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