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Der Blog des Goldseelchen-Verlags
Von Einsamkeit, Isolation und Folter
Im Wort „einsam“ steckt der Einzelne schon drin: Ein-samkeit ist sprachlich das Gegenteil von Gemein-samkeit. Mit Einsamkeit mag man zunächst Verlassenheit und Ödnis assoziieren – kein besonders schönes Bild. Auf den ersten Blick.
Der Dialogphilosoph Martin Buber unterscheidet zwei Formen der Einsamkeit: die negative und die positive Einsamkeit. Das mag in unserem Sprachverständnis zunächst irritieren. Was sollte schon positiv am Einsamsein sein?
Denkt man genauer darüber nach, dann fallen einem vielleicht die Eremiten ein, die ganz bewusst die Einsamkeit gesucht haben. Man könnte auch an Pilgerreisende denken, die weniger einsam als mit Gott im Gespräch sind. Oder sie erleben ein kontemplatives Erlöstsein von allen Abhängigkeiten, wenn sie so Kilometer um Kilometer alleine durch die Lande ziehen.
Tatsächlich ist die positive Einsamkeit bei Buber auch kein statischer Zustand. Es ist ein Moment in einer lebendigen Bewegung: Ich ziehe mich in mich zurück wie sich ein Herzmuskel zusammenzieht. Hier sammle ich Besinnung, Kraft und Mut. Ich gehe nach außen wie sich der Herzmuskel weitet. Hier bin ich ganz in der Welt mit Kraft und Mut, sie zu gestalten.
Was ist demgegenüber die negative Form der Einsamkeit? – Für Buber ist es der Abbruch der Bewegung: Ich konzentriere mich allein auf mich selbst, bin unfähig oder unfähig geworden, mit der Welt zu interagieren, verschließe mich vor Verantwortung in der Welt, vor Gemeinschaft mit anderen, vor dem konkreten Du, das vor mir steht.
Ein anderer Ansatz, sich dem Phänomen der Einsamkeit zu nähern, ist die Unterscheidung zwischen subjektiver Wahrnehmung und objektivem Gegebensein. In diesem Fall wird zwischen Einsamkeit und Isolation unterschieden.
Wenn die alte Frau am Telefon äußert: „Ich fühle mich so alleine.“ – Dann trifft sie eine Selbstaussage auf der Gefühlsebene. Dass sich die Frau einsam fühlt, muss dabei noch nicht heißen, dass sie auch alleine ist. Es gibt beispielsweise alte Frauen, die erzählen den Besuchenden noch während sie sie besuchen, sie fühlen sich so alleine. Im konkreten Moment trifft die Beschreibung des Alleinseins dann objektiv betrachtet nicht zu. Es bleibt im Blick auf diese konkrete Situation bei der gefühlten Einsamkeit. Freilich kann auch ein objektives Alleinsein gegeben sein, wenn die alte Frau zum Beispiel alleine lebt und überwiegend kein Besuch da ist.
Anders verhält es sich mit der Isolation. Die Isolation beschreibt objektiv das Einzelgestelltsein des Einzelnen oder einer Gruppe. Ganz genau, wie wenn man einzelne elektrisch leitende Drähte mit einer Ummantelung von allen Einflüssen von außen abdämmt. „Isolation“, damit hängt außerdem sprachlich das Wort „Insel“ zusammen. Häufig handelt es sich auch im Blick auf Menschen um eine aktiv herbeigeführte Isolation, der gegenüber die einzelnen Betroffenen machtlos ausgeliefert sind.
Wenn man in der Vergangenheit beispielsweise Ghettos für eine bestimmte gesellschaftliche Gruppe bewusst eingerichtet hat, dann hat man sie isoliert. Auch Gefangene werden als besondere Form der Strafe in Einzelhaft, in die Isolation, gegeben. Das geht soweit, dass Isolation nicht nur als Strafe, sondern auch als Folter eingesetzt wird.
Kritiker sprechen statt von Isolationshaft deshalb von Vernichtungshaft. Eine ganze Reihe von negativen Auswirkungen für die Häftlinge ist inzwischen erforscht. Sie reichen von Wahrnehmungs- und Konzentrationsschwierigkeiten bis hin zu Depressionen und sozialen Kontaktstörungen. Literarischen Einblick in die traumatischen Folgen bietet Stefan Zweigs „Schachnovelle“.
Ohne dass sie es wollen, werden die Betroffenen in die von Buber beschriebene negative Form der Einsamkeit getrieben. Im Bilde gesprochen: Der Herzmuskel zieht sich zusammen, aber es wird extern und bewusst verunmöglicht, dass er sich wieder weiten kann. Die Bewegung bricht ab. Erst Kammerflimmern, dann Herzstillstand. Wenn die Bewegung lange genug abgebrochen ist, tritt der bildliche Herztod ein: Der Einzelne wurde der Fähigkeit beraubt, sich wieder der Welt zuzuwenden, einer Gemeinschaft, einem anderen Du.
Das macht Isolation so gefährlich für den Einzelnen und den betroffenen Einzelnen so gefährlich für die Welt. Selbst wer in ihr in bestimmten Konstellationen eine sinnvolle Maßnahme sieht, muss – wenn er nicht sadistisch veranlagt ist – zur Einsicht gelangen, dass Isolation als Methode auf jeden Fall niemals auf Dauer angelegt sein kann. Je länger die Isolation andauert, desto gefährlicher wird sie, bis hin dazu, dass Folgen irreparabel bzw. nicht mehr zu kompensieren sind.
Das macht den Einsatz von Isolation als Methode äußerst fraglich. Selbst als Form der Strafe. Als besonders fraglich ist es zu betrachten, dieselbe Methode einer ganzen Gesellschaft dauerhaft aufzuerlegen und die aus dem Straf- und Folterkontext bekannte Maßnahme sprachlich zur „Schutzmaßnahme“ zu pervertieren.
sophie in Philosophie am 24.04.2021 um 09.54 Uhr
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