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Der Blog des Goldseelchen-Verlags
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Der Mensch, das angewiesene Wesen


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Bild: Uli
 (© Eckdose)

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So war es früher und der Mensch suchte Gott nicht in Büchern, in seiner eigenen Genialität oder überhaupt nicht. Der Mensch erlebte Gott: Im Wirken der Gemeinschaft, in der Fülle einer Ernte, in der Härte eines Winters, im Wunder der Geburt eines Kindes oder der Heilung einer Kranken. Der Mensch freute sich an schönen Gärten und tausenden singenden Vögeln, sprach mit Gott im Gebet und im Lied und legte seine Sorgen, die auch die Gemeinschaft nicht aufheben konnte, voll Dankbarkeit in die Hände des Allwissenden.

Der Mensch in den Städten der Gegenwart sieht Gott nicht mehr. Er glaubt, dass er ihn nicht braucht. Unsere Gesellschaften sind so groß geworden, dass viele Menschen durch ihr Leben gehen, ohne jemals von Not und Angewiesenheiten zu erfahren.

Woher kommt meine Nahrung? Im Supermarkt habe ich durchs ganze Jahr hindurch eine Fülle an Speisen. Was passiert, wenn ich krank werde? Apotheken und Kliniken helfen, dass mein Herz auch dann noch schlägt, wenn mein Körper längst tot wäre. Wer kümmert sich um meine Eltern, wenn sie alt werden? Alters- und Pflegeheime nehmen mich aus der Verantwortung, ich muss die Gebrechlichkeit nicht selbst ertragen. Selbst der Anfang des Lebens – das letzte Kapitel, das der Mensch noch nicht umgeschrieben hatte – liegt scheinbar in menschlicher Macht: Passt ein gezeugtes Kind nicht, dann darf die werdende Mutter es töten lassen, solange die Paragrafen es erlauben. Und wenn ich doch ein Kind haben möchte, aber auf natürlichem Weg keines bekommen kann, gibt es etliche Methoden, die Natur zu überwinden.

Die Natur ist nicht mehr da. Der Mensch hat sie sich umgebaut, sie zu seiner eigenen Schöpfung gemacht. Im Leben einer Großstadt gibt es kaum mehr einen Berührungspunkt, an dem ich über die Schönheit der Welt staunen kann. Die Wildnis am Stadtrand ist bewusst gepflegter Forst. Tiere sind, von Menschen eingesperrt und gefüttert, im Zoo zur Schau gestellt. Selbst wenn in den wenigen Bäumen der Vorgärten und Hinterhöfe morgens noch die Amseln singen; wie kann ich sie hören, wenn ich von meiner Wohnung mit dem Aufzug in die Tiefgarage fahre und mit dem Auto zur Tiefgarage meines Bürogebäudes? Wenn ich im Zug sitze und auf meinem Tablet die fantastischen Landschaften einer computergenerierten Serie streame, verpasse ich auch noch die letzte Gelegenheit, zu staunen, wie die Abendsonne die Kiefernhaine der hügeligen Landschaft in flammendes Rot verzaubert. Wenn ich die Welt nicht sehe, dann kann ich sie nicht mehr als Schöpfung wahrnehmen.

Wenn ich die Welt nicht sehe, dann könnte ich auf die Idee kommen, alles was es zu sehen gibt, hat der Mensch geschaffen. Was er schafft, ist Schöpfung. Der Schöpfer ist der Mensch dann selbst. Macht das nun den Menschen zum eigentlichen Gott, wie das Philosophen wie Ludwig Feuerbach oder Karl Marx gefolgert haben?

Nein, weder ist der Mensch Gott, noch ist Gott tot. Der Mensch ist nach wie vor angewiesenes Wesen. Bei aller materiellen Fülle, bei aller Entfernung zur Natur bleibt der Mensch ein empfindliches, zerbrechliches, hilfloses Geschöpf: ein Geschöpf, das trauert, wenn ein geliebter Mitmensch stirbt, das krank wird, wenn es sich wertlos fühlt, das der Frage nach dem Ende des Lebens aus dem Weg geht, weil es weiß, dass es dort nichts auszurichten hat.

Der Mensch als Geschöpf ist das einzige Wesen, das verlernen kann, mit der Schöpfung zu leben.

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Uli in Philosophie am 24.06.2018 um 17.39 Uhr

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Kommentare

Kommentar:

Habe eben bei Johanna Haberer (Digitale Theologie, GOTT und die Medienrevolution der Gegenwart, München 2015, 171) gelesen, wie unsere Wahrnehmung verkümmert. Sie schreibt davon, dass wir durch die Nutzung des Navigationsgeräts verlernen, uns selbst einen Raum zu erschließen. Wir starren nur noch auf das Display und machen nicht mehr die Sinneserfahrung von Wegmarken und gegangenen Wegen überhaupt. So haben wir zwar die volle Effizienz, ein Ziel schnell zu erreichen, aber letztlich wissen wir gar nicht, wo wir sind. Ich möchte folgern: Und genau das ist doch symptomatisch für den Menschen, so wie Du ihn auch beschreibst.

sophie am 27.06.2018 um 11.32 Uhr.


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