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Der Blog des Goldseelchen-Verlags
Nachdenken über den Film „Dieses bescheuerte Herz“
Was würde man tun, wenn man alle Zeit der Welt hätte? Vielleicht würde man sich Zeit lassen mit allem – und nur das tun, was einem wirklich gefällt.
Was würde man tun, wenn man nicht weiß, ob man in zwei Stunden noch lebt? Vielleicht würde man lernen, wichtige Dinge gleich zu tun.
Im Kinofilm „Dieses bescheuerte Herz“ prallen diese beiden Lebenseinstellungen aufeinander. Lenny ist ein stinkreicher Arztsohn, der sein Leben in Nachtclubs und schnellen Autos vertrödelt. Gezwungenermaßen – sein Vater droht, ihm den Geldhahn zuzudrehen – lernt er David kennen, einen Jugendlichen, der wegen eines schlimmen Herzfehlers jederzeit sterben könnte. Gemeinsam verbringen sie viele Tage miteinander. Lenny lernt, seine Zeit sinnvoll zu nutzen. Und David lernt, Freude am Leben zu haben.
Die Rolle des 16-jährigen David spielt der begabte Nachwuchsschauspieler Philip Noah Schwarz. In die Rolle Lennys hat sich Elyas M’Barek begeben.
Die Handlung
David ist tagsüber im Hospiz, wo rund um ihn herum regelmäßig andere Kinder sterben. Trotz seiner geringen Lebenserwartung muss er in die Schule gehen. Neben dem Herzen sind weitere innere Organe geschädigt. 16 Tabletten zum Frühstück sind Davids tägliche Qual; häufige Besuche im Krankenhaus mit schmerzhaften Operationen kosten ihm den letzten Lebenswillen. Jede Fahrt findet im Krankenwagen statt, ständiger Begleiter ist die Sauerstoffflasche.
Die schnell laufende Handlung spielt an der Grenze zum jederzeit möglichen Tod und an der Grenze zum Erwachsenwerden. David ist äußerlich längst kein Kind mehr, hängt aber noch sehr an seiner Puppe Anna, für die er Schals strickt und die bei jeder wichtigen Situation dabei sein muss. Gleichzeitig sehnt er sich nach Liebe zu einem Mädchen und Sexualität. Lenny scheint keine Sorgen zu haben und übernimmt keinerlei Verantwortung, die zum Erwachsensein dazugehört. Dafür hat er aber niemanden, der für ihn weint, wenn er stirbt.
Werte und Moral
Von der Wunschliste, die David anfangs notiert, werden im Lauf des Films viele Stationen abgearbeitet. Sogar „Mama glücklich machen“ ist ein Ziel, das die beiden erreichen. Mit jedem Haken an der Liste finden David und Lenny näher zusammen, sodass die beiden schließlich „Brüder für immer“ werden. Der Wert der Freundschaft bekommt angesichts des ständig drohenden Todes Ewigkeitscharakter.
„Mach die Sachen gleich, du weißt nicht, ob du sonst noch dazu kommst“, bleibt als Moral hängen. Für David ist das Selbstantrieb und Druckmittel zugleich, für Lenny Motivation. Wer wen aufrichtet und zum Leben motiviert, ist am Ende des Films nicht ganz deutlich. Fast wirkt es, als sei es David gewesen, der Lenny ins Leben holt.
Das lebende Vorbild
Bei der Recherche nach dem echten David und dem echten Lenny tritt etwas Ernüchterung auf. Sie haben gemeinsam das Buch mit dem Titel „Dieses bescheuerte Herz“ verfasst. Dort passt der Titel allerdings besser, denn der echte Lenny ist der Schriftsteller und Journalist Lars Amend, der Daniel Meyer, den echten David, besucht hat, um über das Leben eines Jugendlichen mit Herzfehler zu schreiben. Das Sachinteresse, die Sensation waren der Ausgangspunkt, über den sich die beiden Männer kennen gelernt hatten. Dass daraus eine Freundschaft wurde, ist eine positive Wendung für beide. Traurig ist, dass Daniel Meyer deutlich kranker wirkt und ein leidvolleres Leben hat als die Figur David.
Wer Berichte über das Buch sieht, erkennt manche Szenen und Figuren des Films wieder – etwa die Stretch-Limousine oder die Mutter des Jungen. In vielem ist der Film aber stärker als die Wirklichkeit. Es sind keine Prostituierten, die David auf seiner Limousinenfahrt begleiten, sondern ein gleichaltriges Mädchen, das ihm als Gegenüber begegnet. Lennys Leben bekommt eine wirklich positive Wendung. Er ist motiviert, sich zu verändern. Aus dem Egomanen wird ein aufopferungsbereiter Freund.
Die Operationen lässt Daniel Meyer nur über sich ergehen, „damit die Erwachsenen sich gut fühlen“. Der Film-David geht zwar mit dem Bewusstsein, bald sterben zu können, sorglos um, hat aber sonst keinen ausgeprägten Wunsch, zu sterben. Verloren gegangen ist auf dem Weg zum Film der starke Jenseitsglaube des Jungen. Laut Lars Amend freue er sich auf den Tod, weil dort „Gott auf mich wartet“. Der offensichtliche Agnostiker Amend tut dies als Kindheitsglauben ab. Bis auf die Freundschaft scheint bei ihm wenig Immaterielles aus der Begegnung hängen geblieben zu sein.
Die künstlerische Handschrift
Marc Rothemund, der Regisseur, drehte bereits „Morgen bin ich blond“, einen Film über die Lebensfreude einer krebskranken jungen Frau. Sie könnte bei ihren Partybesuchen glatt Lenny und seiner Clique über den Weg laufen. Auch die künstlerische Ähnlichkeit ist in der Leichtigkeit zu erkennen, die bei „Groupies bleiben nicht zum Frühstück“ bestimmend ist. Wie dort spielt die musikalische Rahmung eine Rolle. Zu einem Leitmotiv wird „Ich wollte nie erwachsen sein“ aus Peter Maffays Tabaluga. Parallelen zu Rothemunds Film „Mein Blind Date mit dem Leben“ mit Kostja Ullmann aus dem Frühjahr 2017 sind auch sichtbar, reduziert man den Stoff auf die Eckdaten: „Mensch mit Behinderung kämpft sich durchs Leben, wird dadurch motivierendes Vorbild – und die Geschichte ist wirklich passiert!“
Ein sehenswerter Film
„Dieses bescheuerte Herz“ läuft seit dem 21. Dezember 2017 im Kino. Abgesehen vom bescheuerten Titel ist der Film mit Elyas M’Barek und Philip Noah Schwarz wirklich sehenswert. Der Zeitpunkt der Ausspielung rund um Weihnachten passt zum Konzept: Es ist ein nachdenklich machender Herz-Film für Familien, den man sowohl mit älteren Müttern als auch mit jüngeren Kindern gut ansehen kann.
Uli in Kunstkultur am 30.12.2017 um 16.06 Uhr
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