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Sieben Tage bis Weihnachten


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Bild: Uli
 (© Eckdose)

Sonntag, 18. Dezember. Sieben Tage bis Weihnachten

Alles begann am vierten Advent. Das war ein Sonntag. Frau Etter schob gerade ihr Fahrrad um die Ecke, wie jeden Sonntag, wenn sie vom Friedhof kam. Dort besuchte sie ihren Mann, seit Jahren. Weil die Kinder schon lange weit weg wohnten, die Tochter in Hamburg, der Sohn in Basel – steuerlich war das wohl von Vorteil. Das erzählte der Sohn aus Basel zumindest immer der Schwester in Hamburg. Aber darum geht es jetzt nicht. – weil die also weit weg wohnten, besuchte sie die eher selten. Und die besuchten sie auch eher selten.

Nach dem Rückweg vom Friedhof jedenfalls bemerkte sie es: Unter dem Kranz aus Immergrün, der immer grün im Advent ihre Türe schmückte, stand neben ihrem katzenförmigen Fußabtreter ein kleiner Tannenbaum von der Größe eines durchschnittlichen Gartenzwergs. Frau Etter war so überrascht, dass sie erst einmal ihr Fahrrad abstellen musste. „Jesusmaria!“, rief sie aus und klatschte vor Freude in die Hände. Dann fragte sie den kleinen Baum: „Was machst du denn hier?“ Doch der Tannenbaum wollte weder antworten noch erzählte er, ob ihn jemand vergessen hätte.

Tatsache war aber, dass Frau Etter noch keinen Tannenbaum hatte. Ihr Sohn würde es dieses Jahr an Weihnachten auch erst am 25. Dezember aus Basel her schaffen. Deswegen würde Frau Etter eigentlich dieses Jahr gar keinen Baum haben, weil ihr der Sohn dieses Jahr keinen von den Pilhofers bringen konnte. Pilhofers wohnten nämlich auf dem Aussiedlerhof und die hatten eine Baumschule. Und jedes Jahr im Advent hatten die auch Tannenbäume. Das war schon so beim alten Pilhofer. Mit dem Fahrrad war der Hof aber zu weit weg. Zumal mit einem Baum.

Am Tannenbaum war keine Karte. „Wir machen das jetzt so“, sagte Frau Etter. „Wenn dich bis heute Abend niemand abgeholt hat, dann kommst du zu mir ins Wohnzimmer.“ Der Tannenbaum widersprach nicht. Frau Etter setzte sich in ihre Küche, sah aus dem Fenster und wartete. Sie steckte die vierte Kerze an und wartete. Sie goss sich einen Tee in die Tasse ein, drehte das Radio mit dem dritten Programm an und wartete. „Süßer die Glocken nie klingen“, sang Heintje aus dem Lautsprecher über dem Kühlschrank. Genau wie früher, als Gottlieb noch lebte. Gottlieb war der Mann von Frau Etter, den sie jeden Sonntag besuchte.

Als es Abend wurde und die Straßenlaternen ihren fahlen Schein auf die kalten Pflastersteine warfen, sah Frau Etter durch ihren Türspion in die Dunkelheit. Nichts war zu sehen. Sie lächelte, schloss die Türe auf und nahm den völlig durchgefrorenen Baum in ihre gute Stube. „Na, da hat uns aber jemand eine Freude gemacht“, sagte Frau Etter. „Ob das wohl der Herbert war?“ Der Herbert war nämlich der beste Freund von Gottlieb gewesen. Und der Herbert hatte auch schon Frau Etters Fahrrad repariert, als Frau Etter im Herbst auf nassem Laub ins Rutschen gekommen war und das Vorderrad daraufhin vollkommen verbeult war. „Eine glatte Acht“, hatte er damals gesagt und ihr das Rad nach zwei Tagen wiedergebracht.

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sophie und Uli in Literatur am 24.12.2017 um 10.01 Uhr

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