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Der Blog des Goldseelchen-Verlags
Eine medienethische Überlegung
Die Schuldzuweisung springt dem Netznachrichten-Nutzer in dicken Lettern entgegen: „Fahrdienstleiter ist schuld am Unglück“. Als würde das ein Unglück besser machen, prahlt die Seite ihr nach Aufmerksamkeit heischendes Wissen heraus.
Was ist eigentlich der Unterschied zwischen „schuld sein“ und „Schuld haben“? Die Groß- und Kleinschreibung allein kann es nicht sein. Vielmehr schwingt eine unterschiedliche Aussage mit. „Schuld sein“, das ist die Abkürzung des „schuldig sein“. Es wird also über den Fahrdienstleiter hier nicht gesagt, dass er in einem unbedachten Moment, einer folgenschweren Fehlentscheidung, Schuld auf sich geladen hat – eine Schuld, die sich auf eben diese Tat bezieht. Eine so verstandene Schuld könnte mit einem als angemessen empfundenen Strafmaß abgebüßt werden. Es wird über dem Fahrdienstleiter hier der existenzielle Zustand, der Seinsgrad, des Schuldigseins ausgesprochen. Und diese Aussage bezieht sich nicht auf die Tat, sondern auf die Person: Diese Person ist durch und durch schuldig (und wird es bleiben).
Der Lutheraner mag einwenden, dass daran doch nichts verwerflich sei. Schließlich sind wir „alle Sünder und ermangeln des Ruhmes, den [wir] bei Gott haben sollten“ (Röm 3,23). Aber darum geht es hier nicht, denn der Lutheraner weiß ebenso, dass man immer zwischen Person und Werk trennen sollte. Dass die Sühnung deshalb auch nicht durch ein auferlegtes Strafmaß geschieht, sondern von einer anderen Instanz her, ist ohnehin selbstredend Glaubensinhalt.
Was bewirkt nun aber die gänzlich innerweltliche Brandmarkung „X ist schuld“ – für jeden leicht lesbar, plakativ in die Netzwelt geschrieben? Ist es Wissen, das hier vermittelt werden soll? Sicherlich nicht. Hier geht es darum, anzuprangern ohne Rücksicht darauf, was das für den Angeprangerten oder sein Umfeld bedeutet. Das zielt nicht darauf, ein Unglück aufzuklären und den Leser an des Rätsels Lösung teilhaben zu lassen, sondern darauf, aus dem Unglück Profit zu schlagen.
Gemeint ist ein doppeltes Unglück. Da ist das Zugunglück und natürlich ist es richtig, seine Ursachen zu verfolgen – auch mittels Strafverfolgung. Da ist aber auch das Unglück im Fahrdienstleiter selbst. Wer nimmt sich hier eigentlich das Recht, sich zur richterlichen Instanz über diese Person zu erheben? Mit welchen Interessen?
Wenn diese Motive offen gelegt würden: Wer würde wohl Schuld auf sich laden? Mit einem unbeabsichtigten „Unglück“ hätte das Ergebnis sicherlich nichts mehr gemein.
sophie in Medien am 16.02.2016 um 20.33 Uhr
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