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Der Blog des Goldseelchen-Verlags
„Erst muss der sich mal bei mir entschuldigen!“ Klare Worte aus harter Miene. Sämtliche Gesichtszüge laufen spitz zusammen, laufen auf die gekräuselten Lippen hin zu. Ich muss an eine unreife Zitrone denken und lachen, obwohl es nichts zu lachen gibt. Nicht jetzt. Nicht, wenn er sich erst einmal entschuldigen muss. Vorher braucht man über Vergebung nämlich gar nicht nachdenken. Vergebung, die muss man sich verdienen. Scheinbar. Zumindest sagt das die geballte Faust. Der verlängerte Arm der unreifen Zitrone.
„Vergeben können“ ist gar nicht so einfach. „Vergeben an sich“ eigentlich schon. Ist das nicht eigentlich dasselbe? – Nein, das ist es eigentlich nicht.
Es gibt Situationen, da ist es menschenunmöglich zu vergeben. Die Betonung liegt hier auf „menschen“. Bei Gott sind alle Dinge möglich. Aber der Mensch ist eben nicht Gott. Und weil das so ist, gibt es Geschehnisse, die so tief verletzen, dass ein Mensch nicht vergeben „kann“. Punkt. Auch nicht, wenn man ihm sagt, dass er das soll oder sagt, dass die Bergpredigt sagt, dass er das so soll.
Wer ehrlich sein will, kann sich einmal kritisch fragen: Ist es wirklich so, dass ich nicht vergeben „kann“? Ist mir Vergebung unmöglich?
Oder – und das sage ich der Zitrone nun direkt ins Gesicht: „Ist es nicht vielmehr so, dass Du sehr wohl vergeben könntest, aber es nicht tust, weil Du den anderen strafen willst? – Du strafst ihn mit Nichtachtung für das, was er Dir angetan hat. Spüren lassen willst Du ihn, was er für ein schlechter Mensch ist. Erst wenn er sich Dir gegenüber völlig erniedrigt hat und eine „Entschuldigung“ vorbringt, die Fehlnisse seines Lebens vor Deiner gekräuselten Lippe eingesteht, dann, ja dann, willst Du bereit sein, Dich gnädig herabzulassen. Wenn Du Deinen Triumph hast, dann willst Du vergeben. – Dann willst Du Dich zurücklehnen und genießen, dass Du ein besserer Mensch bist als er? Bist Du das? Dann?“
Wer entdeckt, dass etwas vergeben werden könnte, was nicht vergeben wird, der macht sich selbst zum Richter. Er lebt im Reich der Urteile. Bis er irgendwann sich selbst nichts mehr vergeben kann, sich selbst verurteilt. Kein Freispruch. Für niemanden. Erst recht nicht für die Zitrone. Die Wut macht sie bitter. Verbittert. Letztlich schadet sie sich selbst. Wer loslassen kann, dessen Miene entspannt sich. Vielleicht sogar zu einem Lächeln.
Zwei Fragen also: Ist es verzeihlich?
Und wenn „ja“: Verzeih ich?
sophie in st.eckdose am 23.05.2012 um 14.35 Uhr
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