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Der Blog des Goldseelchen-Verlags
Der Mensch als Beobachter
Der Mensch ist ein Tier, sagen die Naturwissenschaften. Sein Verstand ist das Ergebnis einer zufälligen Entwicklung. Irgendwann würde die Neurologie, die Gehirnforschung, auch den Ort des Verstandes entdecken. Die Menschheit wäre sogar in der Lage, einmal verständige Geräte zu bauen. Geräte mit Bewusstsein.
Der Mensch ist ein Grenzwesen, sagen manche Gläubige. Sein Körper ist der Natur unterworfen. Sein Geist ist unsterblich. Dass der Mensch denken kann, ist nicht die Folge einer natürlichen Entwicklung. Es ist eine Begabung von außen, von einer wirklicheren Ebene.
Die Naturwissenschaften haben ihre Ansichten aus der Beobachtung. Sie sehen Fossilien und Spuren verstorbener Arten. Wie ein Puzzle entwerfen sie Folgen, die eine Entwicklung nachzeichnen. Die Linie führt mit vielen Lücken direkt vom Einzeller zum Menschen mit seinem Verstand. Ein Weg des Zufalls und des gnadenlosen Wettstreits ums Überleben ist diese Linie.
Der Glaube hat seine Ansichten auch aus der Beobachtung. Er sieht Leben, wo Leben unwahrscheinlich wäre. Alles entsteht und vergeht wieder – und doch ist etwas und ist nicht nichts. Ein Sinn zeichnet sich ab, wo Zufälle auch andere Ergebnisse hervorbringen müssten.
Es nutzt nichts, die Sicht der Naturwissenschaft gegen die Sicht des Glaubens auszuspielen. Nicht richtig oder falsch stehen gegenüber. Es sind unterschiedliche Seiten, die betrachtet werden. Zum Streit kommt es, wenn einer annimmt, eine Ansicht würde alles abdecken.
Doch wozu dient all das Beobachten? Ist es ein Sammeln von Beweisen dafür, dass man Recht hat? Niemand gewinnt etwas dadurch, dass er Recht hat. Recht haben alleine ist ziemlich nutzlos. Selbst vermeintliche Beweise helfen nichts. Vor Gericht kann jemand seine Unschuld darlegen. Er würde Recht haben. Doch heißt das nicht, dass seine Mitmenschen von diesem Recht überzeugt werden. Der Sieger vor Gericht kann der Verlierer der Gesellschaft bleiben.
Das Beobachten dürfte eine Suche nach Wirklichkeit sein. Zwar gehen auf das naturwissenschaftliche Beobachten viele technische Entwicklungen zurück. Doch sind Erfinden und Feststellen unterschiedliche Vorgänge. Bevor Kenntnisse genutzt werden können, müssen sie gesammelt werden. Der Erfinder des Wasserrades wird nicht jahrelang gemessen haben, wie viel Kraft 20 Liter Wasser in der Sekunde bei einer Fallhöhe von drei Metern haben. Einer wird festgestellt haben, dass fließendes Wasser ziemlich viele Sachen mitreißt, ohne müde zu werden. Hat der Beobachter vorher überlegt, ein Wasserrad zu bauen? Wohl kaum.
Wer in der Wildnis überleben will, muss beobachten. Er entwickelt einen klaren Blick für die Dinge, wie sie sind. Neugier ist die Folge eines klaren Blickes. Wenn keine Gefahr droht, sucht der Mensch dennoch weiter. Er betrachtet das Wasser mit seiner Kraft. Er stellt erstaunt fest, dass Holz formbar ist. Er sieht sich nicht mehr nur die Welt an, sondern er probiert sich an ihr aus. Doch manches lässt sich nicht ausprobieren. Manches ist ferne. Morgens geht die Sonne im Osten auf, im Westen versinkt sie abends. Wie gelangt sie zurück auf die andere Seite?
Nachts funkeln kleinere, schwächere Lichter am Himmel. Der Mensch möchte nach den Sternen greifen, doch kein Steinwurf holt sie herab. Sind die Dinge dort oben echt?
Tagsüber deutet nichts darauf hin, dass nachts dort oben Lichter sind. Nachts verdunkelt sich die Erinnerung an die tägliche Sonne. Der Mensch steht zwischen dem, was er sieht, und dem, was er denkt, gesehen zu haben. Das Wasser fließt ab und es bleibt ein leerer, trockener Graben. War hier je Wasser vorhanden?
Die Naturwissenschaften verlassen sich darauf, dass Dinge, die einmal gesehen wurden, und immer wieder gesehen werden, der Wirklichkeit entsprechen. Hier hat sich der Mensch entschieden, festzustellen und das zu beobachten, was er sieht. Den Rest erschließen Erfahrungen. Die Wirklichkeit hängt an einem dünnen Faden, von dem der Mensch ausgeht, dass er ihn tragen könnte.
Als das Wasser abgeflossen war und nur der Graben blieb, sah der Mensch den Graben an. Er war unsicher, dass hier ein Bach war. Als die Sonne untergegangen war und nur die Sterne schwach funkelten, wusste der Mensch nicht, ob die Sonne wirklich je geschienen hätte. Alles Sein könnte just in diesem Moment erst begonnen haben. Alle Erinnerung und Erfahrung, alle Bilder und Beweise: nichts würde belegen können, dass sie nicht erst neu entstanden sind.
Was der Mensch aber wusste, war, dass er im Hier und Jetzt nach oben blickte. Der Mensch wusste, dass er denkt. Seine Gefühle erschienen ihm im Augenblick wirklich. Im nächsten Augenblick war er sich schon unsicher, welches Gefühl er gehabt hatte. Was war das für eine Wirklichkeit, die er beobachten konnte? Sie hatte keinen Bestand. Der Faden wird als so dünn betrachtet, wie er ist.
Der Mensch erkannte, dass er die Wirklichkeit außerhalb der Welt zu suchen hätte.
„Wenn ich sehe die Himmel, deiner Finger Werk, den Mond und die Sterne, die du bereitet hast: was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, und des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst?“ (Ps 8,4-5)
Uli in st.eckdose am 06.10.2013 um 18.42 Uhr
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