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Der Blog des Goldseelchen-Verlags
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Karikatur einer bekannten Geschichte

Der Engel an der Pforte des neuen Jahres


Für eine größere Ansicht anklicken.
Urheber: Konrad Kyeser, 15.Jh.
 (Creative Commons)

Ich sagte zu dem Engel, der an der Pforte stand: „Nach oben, bitte.“

Der Engel antworte: „Ja, kein Problem, steig einfach ein.“

Bing.

„Ja äh, aber da ist es ja schon ziemlich voll“, sagte ich zu dem Engel, „und außerdem bist du ja überhaupt kein richtiger Engel.“

„Kein richtiger Engel?“, entgegnete die Gestalt an der Pforte.

„Na, wenn du ein richtiger Engel wärst, wärst du eine Lichtgestalt, keine Materie und so, du weißt schon. Jedenfalls, wenn du ein richtiger Engel wärst, würdest du jetzt hier nicht auch noch Platz im Aufzug wegnehmen.“

Bing.

Irgendjemand stellte seinen Fuß in die Pforten, als die gerade zugehen wollten.

„Also mir reicht’s jetzt.“, sagte der alte Mann. „Das ist mir doch zu blöd. Ich mach das doch nicht jedes Jahr auf’s Neue mit. Diese alberne Aufzugfahrerei ins neue Jahr. Mir reicht’s. Ich steig aus. Adieu.“ – „Tschühüüüs“ tönte das Echo ihm nach.

Bing. Jetzt war er weg. Puh. Jetzt gab’s etwas mehr Platz. Da rannte gerade jemand um die Ecke. Der hatte die Kurve gerade noch so gekriegt. „Ich will auch mit“, rief er ganz außer Atem. „Nach oben, bitte.“

Der Engel antwortete: „Ja, kein Problem, steig einfach ein.“

Bing.

Endlich schlossen sich die Pforten. Im Innern schauten wir uns betreten an oder besser gesagt betreten an die Decke. Zum Boden ging nicht. So voll war es, dass man seine eigenen Füße nicht sehen konnte. Der Engel schwebte nicht etwa über uns. Er quetschte mitten unter uns. Ein ganz Gewitzter fing an, die Jeopardy-Melodie zu summen.

Der Aufzug ruckte und zuckte und ächzte und quetschte. Die Altlasten wogen recht schwer. Dann endlich.

Bing.

Die Pforten öffneten sich. Die Insassen strömten ins Freie. Da waren sie aber frohen Mutes und voller Zuversicht. Nach dem Engel sahen sie sich nicht mehr um. Der aber stand an seiner Pforte und grinste. Er war der Einzige, der wusste, dass der Aufzug viel zu voll war, um nach oben steigen zu können. Er öffnete seine Pforten genau da, wo die Leute eingestiegen waren. Wie jedes Jahr.

Bing.

sophie in Literatur am 01.01.2013 um 09.42 Uhr

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