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Der Blog des Goldseelchen-Verlags
Was der Arzt mit einem alten Flügel gemeinsam hat
Die Arche dürfte jeder kennen, jenes Schiff, mit dem Noah mit seiner Familie der Sintflut entkam und dabei auch viele Tiere mitnahm. Vom Archaeopteryx haben bestimmt auch schon einige gehört. Und weil beides nach „Arche“ klingt, haben die beiden doch bestimmt etwas miteinander zu tun.
Schon ist man bei der Volksetymologie angelangt. Der Begriff beschreibt jenes Phänomen, dass Worte, die der Sprache nicht verständlich sind, mit ähnlich oder gleich klingenden Wörtern vermischt oder erklärt werden. Ein bekanntes Beispiel: Aus dem Moldwarp machte die Volksetymologie den neuhochdeutschen Maulwurf – „der mit dem Maul wirft“ – obwohl er mit den Schaufelhänden gräbt. „Mold“ bedeutete Staub, Erde. Das Wort hat in „Müll“ weiter gelebt. Der Maulwurf war ein Erdwerfer. Aber auch das ist schon umgedeutet, die älteste Form für das Tierchen ist „muwerf“. Zwar warf er damals schon, aber noch nicht Erde, sondern Häuflein. Die erste Silbe „mu“ lebt noch im Englischen „mow“ – Heuhaufen.
Ein Kasten und ein alter Flügel
Wörter gehen also gewaltige Umwege, legen Bestandteile ab und ziehen neue Bedeutungen an, wenn sie lange und oft genug benutzt werden. Der Archaeopteryx ist kein Opteryx, der zur Zeit der Arche gelebt hat und vielleicht danach ausgestorben ist. Die Arche, also Noahs Schiff, hat ihren Namen von einem lateinischen Wort für Kiste, „arca“. Sie hat mit Wörtern, die „Arche“ enthalten, nichts zu tun.
Der Archaeopteryx ist ein Archäo-Pteryx, griechisch ein „alter Flügel“ bzw. die „alte Feder“. Auch die Archäologie sucht nicht nach der Arche, sondern ist, wörtlich, die Lehre von den alten Dingen.
Nur ein „alter Flügel“, der Archaeopteryx
(Bild: NobuTamura; Creative Commons bei Namensnennung).
Man kann sich merken, dass Wörter, die mit „archäo-“ beginnen etwas Altes bezeichnen. So z.B. das Adjektiv „archaisch“, was schlichtweg „alt“ oder „altertümlich“ bedeutet. Das „o“ ist weggefallen.
Architekt und Anarchie
Wir blättern weiter im Wörterbuch und stoßen auf den Architekten. Baut der etwa alte Häuser?
Keinesfalls. Doch sein „archi-“ ist ebenfalls griechischen Ursprungs und hat etwas mit „archäo-“ zu tun: „arch-“, was soviel wie „Ober-“, „Erst-“ oder „herrschend“ heißt. Was am Anfang (griechisch Arché) ist, ist auch das Herrschende, so war die Vorstellung der griechischen Sprachwelt. Noch heute ist bei uns der Erste Bürgermeister zugleich der oberste Bürgermeister. Der Architekt ist eigentlich der Archi-Tekton, der Ober-Zimmermann bzw. Ober-Baumeister.
Das Patriarchat, das Matriarchat oder die Patriarchie und die Matriarchie sind Wörter, die aussagen, wer in der Familie das Sagen hat. Im Matri-Archat sind die Mütter, im Patri-Archat sind die Väter die Machtträger. In einer Mon-Archie herrscht nur einer, in einer An-Archie gibt es keine Herrschaft.
Die Erzväter und der Erdbeerschorsch
Damit sind wir noch nicht am Ende mit den Archen. Sie beeinflussen uns auch an Stellen, wo wir sie gar nicht mehr erkennen. Die Vorsilbe „Erz-“ hat eigentlich nur beim Erzbergwerk seine metallische Bedeutung. Ansonsten ist es das bekannte „Arch“, das über die Jahrhunderte verschliffen wurde. Die Erzväter Abraham, Isaak und Jakob sind die ersten Landesväter Israels, von denen erzählt wird. Der Erzbischof – mitunter als Erdbeer-Schorsch verballhornt – ist eigentlich der Archi-Episkopos, der Ober-Gemeindeaufseher. Die Erzengel sind die Ober-Boten. Mit weltlichen Titeln wie dem Erzkanzler und dem Erzkämmerer bekam die Vorsilbe „Erz-“ auch die Bedeutung „besonders stark“. Daher haben auch Erzfeinde und Erzkatholische das einst griechische „arch-“ im Namen.
Der berühmteste „Ober-Arzt“ der Antike: Hippokrates.
Ohne viele Zwischenschritte, die sich in alten Texten gehalten haben, würde man unser letztes Beispiel gar nicht mehr in die Familie der „Archen“ einordnen können: den Arzt. Im Altgriechischen heißt ein Arzt einfach „iatros“, so wie wir ihn vom Psychiater (dem Seelenarzt) oder von der Pädiatrie (der Kinderarzt-Abteilung) kennen. Der Haupt-Arzt oder Ober-Arzt wurde „archiatros“ genannt. Über lateinisch „arciater“ ist der Weg von „arsater“ zu „arzt“ nicht mehr weit. Die seltsame Schreibung mit „zt“ und nicht, wie bei „jetzt“ „tzt“, wird durch diesen Ursprung begründet.
Uli in Philosophie am 21.11.2012 um 16.24 Uhr
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