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Der Blog des Goldseelchen-Verlags
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Schneeglöckchens Weltsicht

Miniaturschneeflöckchen betten sich auf die Windschutzschreibe. Wenigstens das Auto ist fröhlichrot gefärbt. Die Berliner Straßenflucht strahlt monotones Grau aus. Nebeltristes Einerlei. Ab und zu gefrorener Hundekot und gebrauchte Taschentücher auf Asphalt. Schneekälte mag inzwischen keiner mehr spüren.

Die kalten Hände reibend geht der Weg in Richtung Einkaufszentrum. Missmutige Menschen nehmen die Vorfahrt. An der Kasse herrscht das Gesetz des Stärkeren. Nicht nur ein Augenpaar erzählt davon, die Winterdepression endlich ablegen zu wollen.

Wird’s mal wieder richtig Sommer, dann kehrt die Fröhlichkeit zurück. Im Sonnenschein strahlen Augen mit, freuen sich des Lebens. Im Sonnenschein tummeln sich knappe Shirts mit Gleichgesinnten und tauschen Sonnencreme wie Kinder Sticker. Im Sonnenschein schaut alles anders aus. – Alles?

Die Erinnerung lehrt besseres. Keine Winterdepression allein ist es, die Augen schwer werden und Gedanken schweifen lässt. Gedanken mischen sich mit Fragen, Fragen werden zu Sorgen und Sorgen werden schwer. Schwer wie Eis. Drückend. Da ist die Frage der Zukunft, dort die Sorgen um den Nächsten und zwischendrin der Gedanke: Wo ist es denn, das Leben, von dem alle reden? Hab ich es verpasst? Hat es mich vergessen?

Wird’s mal wieder richtig Sommer, dann kehrt die Fröhlichkeit zurück? – Aufschub ist Trug. Auftrieb gibt nur Hoffnung.

Hoffnung, das ist eine positive Erwartungshaltung. Etwas Wünschenswertes soll in der Zukunft eintreten. Ob es wirklich so kommt? Man weiß es nicht. Der Sommer kommt sicher, aber kommt die Fröhlichkeit – und zwar nicht nur zu den anderen?

Davon, dass Hoffnung kein leeres Wunschdenken ist, davon erzählen Hoffnungsboten. Das kann ein freundlicher Blick sein, ein aufmunterndes Wort – oder aber etwas ganz anderes:

Berliner Straßen lassen sie selten durchscheinen, die kleinen weißen Blümchen mit den großen grünen Blättern. Aber wer hat sich noch nie an ihnen gefreut, wenigstens als Kind? Gemeint sind die Schneeglöckchen. Ich meine, gerade sie sind Hoffnungsboten.

Von Eis und Schnee lassen sie sich nicht unterkriegen. Sie blühen der ganzen tristen Welt zum Trotz. Sie scheren sich nicht darum, dass ihre Blütenfreunde sich noch lange Zeit winterdepressiv in der Erde verkriechen. Sie wissen es besser. Sie wissen, dass die positive Erwartungshaltung ihre Berechtigung hat.

Um die Botschaft der Boten zu erkennen, muss man sie wahrnehmen. Von sich selbst absehen, aufmerksam sein. Einer hat die Botschaft der Hoffnung ganz deutlich in seinem Leben verspürt und kein anderes Bild dafür gewählt als das kleine Schneeglöckchen. Eingesperrt und unterdrückt wünschte Dietrich Bonhoeffer seine Verlobten:

„Ich wünsche Dir die Lebenskraft dieser Blume, die sich von Kälte, Eis und Schnee nicht unterkriegen lässt und zu ihrer Zeit blüht. Jedes Werden in der Natur, im Menschen, in der Liebe muss abwarten, geduldig sein, bis seine Zeit zum Blühen kommt.“

Die Kraft des Trotzdems, des Dennochs, des Widerstands wünschte er und erfuhr sie selbst. Über das Woher war er sich bewusst. Er wusste es. Wusste, dass die positive Erwartungshaltung ihre Berechtigung hat. Trotz allem.

Die Frau an der Kasse war übrigens nicht schlecht verdutzt von der Freundlichkeit, die ihr die positiv Erwartenden schließlich entgegenbrachten. Sprachlos schien sie und ihre Augen wirkten, als hätte durch tristes Einerlei ein kleiner Sonnenstrahl den Weg zu ihr gefunden.

sophie in st.eckdose am 19.02.2011 um 20.25 Uhr

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