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Der Blog des Goldseelchen-Verlags
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Fenster vom 06. Dezember

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Nikolaus

Wie der Nikolaus entstand

Zu der Zeit, als Katzen noch zwei Schwänze hatten und Erbsen mit vier Flügeln durch die abendlichen Lüfte schwirrten, da lebte der goldene Hase Lindt in der Gegend der Tiefkühl-Abteilung. Lindt erkannte man daran, dass er ein rotes Bändel um den Hals trug, an dem eine Glocke baumelte. Einmal am Tag sprang Lindt durch die Regalreihen umher und bimmelte mit diesem Glöckchen. Das war für alle anderen Einwohner der Gegend immer das Zeichen, dass der Supermarkt schloss und keine Gefahr mehr ausging von grapschenden, ekelhaften Kinderhänden.

Der goldene Hase Lindt fürchtete sich vor nichts so sehr, wie vor der Armee der spitzen Nudelstäbe. In ihrer eigenen italienischen Sprache nannten sich die Krieger dieser Armee „Spaghetti“. Mit ihren Bataillonen durchstreiften sie den Supermarkt und verbreiteten Angst und Schrecken. In Einheiten bis zu 500 Gramm marschierten sie nachts auf den leeren Gängen. Manche Eliteeinheiten waren sogar 50 Zentimeter lang!

Ihr Anführer war eine flache, platte Gestalt, Monsieur de La Sagne, der seine Freude daran hatte, den anderen Einwohnern Angst einzujagen und die Italiener herumzukommandieren. Man kam weder den Terror-Spaghetti noch ihrem breitschultrigem Führer bei. Sobald es zwischen den Regalen nudelte, erstarrten die Regalinsassen in Regungslosigkeit. Keine Bewegung, bis auch der letzte Spaghett wieder abgezogen war.

Eines Tages kamen der Ritter Sport und ein Schwarm fliegender Tiefkühlerbsen beim Hasen Lindt zusammen, um über die nächtliche Bedrohung Rat zu halten. Man wusste: So könnte es nicht mehr weiter gehen! Irgendetwas sei zu tun. Die Idee, dass Hase Lindt nicht mehr sein abendliches Läuten durchführen sollte, verwarf man bald. Schließlich hätten die Spaghetti in ihrem Regal Nudeluhren. Wenn Lindt nicht klingelnd durch den Supermarkt zöge, würden alle Einwohner die Zeit verpassen, die Spaghetti dennoch ihre Terrorrunden drehen.

So beschloss der Ritter Sport, die Tiefkühlerbsen in der Nudelabteilung Aufklärungsflüge unternehmen zu lassen. Die ganze Nacht über schwirrten die grünen Flatterdinger zwischen Rigatti und Fusilli, zwischen Canelloni und dem Kindergarten der Spaghetti, den kleinen Gabelspaghetti, hin und her. Ganz geschickt erkundigten sie sich bei dem Nudelvolk, welche Bedrohung SIE denn fürchteten. Man wolle schließlich Sicherheit im Supermarkt und sich darum kümmern, dass alle Bedrohung verschwinde. Und das war nicht einmal gelogen!

Die Nudeln freilich, in ihrer mediterranen Leichtgläubigkeit, dachten, die Erbsen hätten tatsächlich den Plan, sie vor größeren Bedrohungen zu schützen. So schwätzte dann eine Spiralnudel frei heraus, man fürchte sich nur vor zwei Feinden. Das eine ist die Tomatensoße, die jeder Nudel alle Reinheit, allen Eigengeschmack, alle Freiheit nehme. Die Tomatensoße schlüpfe in jede noch so versteckte Nudelecke und überziehe alles mit ihrer kochend heißen Klebrigkeit. Darum habe man die Tomatensoßen auch eingesperrt in Dosen und Alupackungen.

Die zweite Bedrohung sei anderer Art. Denn Monsieur de La Sagne, der Herrscher der Nudeln, habe eine geheime Leibgarde, die sich auf Französisch unterhält, kräftiger ist als die Spaghetti und Nudeln beim kalten Buffet von der Speisekarte verdränge: die Baguetten. Ob es diese Geheimeinheit tatsächlich gebe, wusste jedoch keine der Nudeln genau zu sagen. Nachts seien die Regal der Backwaren leer. Man wisse nur aus einer alten Legende, dass ein Baguette sehr breit, lang und so groß wie ein Elite-Spaghett sei. Man fürchte, dass Monsieur de La Sagne im Falle eines Putsches die Baguetten aufmarschieren lasse um alle Spaghetti zu verhaften.

Die Erbsen staunten nicht schlecht. Hatten sie doch gar nicht mit so detaillierten Informationen gerechnet. Sofort pfiffen sich die Flatterhülsenfrüchte zusammen und schwirrten zurück zu Ritter Sport und dem Hasen Lindt. Ritter Sport wusste sofort, was zu tun war. Wenn sich alle Nudeln vor Tomatensoße fürchteten, dann müsste die Farbe Rot schon eine erste Abschreckung sein. Außerdem sollte man sich als Baguette verkleiden, damit die Spaghetti nicht irgendwann auf die Idee kämen, die Tomatensoße genauer zu untersuchen.

Der Hase Lindt war einverstanden, sich zu verkleiden. Der Ritter Sport gab sein rotes Mäntelchen her – das zog er sonst an, wenn er als Marzipan auftrat. Lindt stellte sich auf die Hinterpfoten, streckte seine Ohren eng zusammen, zog eine Kapuze über und nahm die Glocke in die Hand. Nun zog er los, denn er wusste, dass es nun Zeit war, die Schreckensherrschaft der Spaghetti zu beenden. „HO HO HO“, rief er mit schauerlicher Schreckstimme. Und tatsächlich: Die Spaghetti-Schergen sahen das vermeintliche rote Baguette und zogen sich in die Nudelabteilung zurück.

Am nächsten Morgen stand im Regal nicht mehr der goldene Hase Lindt, sondern der Nikolaus mit einem roten Mäntelchen und einer Glocke in der Hand.

Und warum die Erbsen heute keine Flügel mehr haben, erzähle ich ein andermal.

Uli