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Der Blog des Goldseelchen-Verlags
für Tagfalter und Nachtdenker

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Fenster vom 23. Dezember

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Belämmert blickendes Schaf

Gerade war die Sonne hinter den Hügeln verschwunden. Eine furchtbare Kälte ließ sie zurück. Zoon, das Schaf, freute sich, dass es ein Schaf war. Zwei Vorteile brachte das Leben als Schaf mit sich. Man hatte einen angewachsenen Wollpullover an. Und es gab ganz viele Andere in näherer Umgebung, die auch alle einen angewachsenen Wollpullover trugen. So drängte sich Zoon zwischen zwei besonders flauschige Kameraden und tat das, was es jeden Abend tat: Gras kauend einschlafen. Das Schöne am Kauen war nämlich, so dachte Zoon, dass man in ruhiger werdender Bewegung das Gras von einer Seite zur anderen schieben konnte und mitzählen konnte, wie oft der Grasballen links, wie oft er rechts gewesen ist. Andere, so hatte es gehört, würden ja vor dem Schlafen die Schafe zählen. „So ein unpraktischer Hammelmist“, dachte Zoon, „da müsste man ja dazu aufstehen...“

Lärm, Gewusel und ein helles Licht weckten Zoon auf. Ach, man war tatsächlich eingeschlafen, stellte es verwundert fest. Und erschrak sogleich, denn helles Licht war in der Regel erst dann zu erwarten, wenn aus dem Dorf hinter dem Hügel ein heiseres Husten zu hören war. „Der Hahn kräht“, wurde dieses Husten genannt. Nun war kein „Der Hahn kräht“ weit und breit zu vernehmen, nur Lärm, Gewusel und ein helles Licht. Keleb, das Schaf ohne Wollpullover mit den spitzen Zähnen und dem dunklen Fell, das eigentlich kein Schaf war, aber immer bei den Schafen wohnte, sprang bellend vor dem Licht auf und ab. „Depp“, dachte Zoon. „Das Licht kann dich nicht hören. Dafür aber kann ich dich hören. Und ich würde gerne schlafen.“

Das Licht hörte trotzdem. Es kam näher und wurde klarer. Zweibeiner waren von der Feuerstelle aufgestanden und hielten ihre Hände vor die Augen. Im Licht erschienen Gestalten, die Zoon nicht kannte. Sie sahen aus wie eine Mischung aus Krähen, Salamandern, Zweibeinern und Schmetterlingen, ganz in hell und schön. Und irgendwie waren sie auch wieder nicht. Eigentlich sah Zoon nur, dass dort Gestalten waren. Zoon hatte nun vergessen, dass es geschlafen hatte. Neugierig stellte es sich auf seine vier Beine und guckte belämmert dorthin, wo die Gestalten sich bewegten. Irgendwas schienen sie den Zweibeinern mitzuteilen. Viel war bis zu der Stelle der Herde, wo Zoon stand, nicht zu hören. Etwas von „Hosianna“ und „Highland geboren“ sprach eine der Gestalten, während die Schar im Hintergrund jubilierte und frohlockte. Ob sie tatsächlich jubilierten und frohlockten, erkannte Zoon nicht so genau. Sie taten jedenfalls so, wie es sich vorstellte, dass es aussehen würde, wenn jemand jubiliert und frohlockt.

Nach einer Weile waren die Gestalten leise geworden und das Licht verlosch zunehmend. Zurück blieb eine eiskalte Sternennacht mit erstaunt blickenden und unsicheren Zweibeinern. Zoon begriff nicht genau, was die Gestalten von ihnen gewollt hatten. Doch das hatte es nicht zu stören. Die Zweibeiner schickten Keleb an, die Herde zusammen zu treiben. Mit erneutem Gekläffe rannte das Schaf, das keines war, um die Wollpullovergruppe herum. Währenddessen zogen die Zweibeiner mit Beuteln auf den Rücken und Lampen in der Hand an ihnen vorbei. Sie blickten zum Horizont. Zweibeiner wandern? Jetzt? Mitten in der Nacht?

Zoon wusste nach wie vor nicht, was die Gestalten Wichtiges erzählt haben. Doch als er die Gesichter der Zweibeiner im Schein ihrer Lampen sah, begriff es: Irgendetwas Besonderes, Gewaltiges ist da draußen passiert, das noch kein Schaf auf dieser Welt erlebt hatte. Eine große, unbekannte Freude erfüllte Zoon. Glücklich biss es einen Büschel Gras ab, kaute darauf herum, zählte und schlief zufrieden ein.