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Der Blog des Goldseelchen-Verlags
Fenster vom 17. Dezember
Ein Märchen der Brüder Grimm
Es fuhr einmal ein armes Dienstmädchen mit seiner Herrschaft durch einen großen Wald, und als sie mitten darin waren, kamen Räuber aus dem Dickicht hervor und brachten um, wen sie fanden. Da kamen alle miteinander ums Leben, bis auf das Mädchen. In der Angst war es aus dem Wagen gesprungen und hatte sich hinter einen Baum versteckt. Als die Räuber mit ihrer Beute fort waren, trat es herbei und sah das große Unglück. Da fing es an bitterlich zu weinen und sagte: „Was soll ich armes Mädchen nun anfangen? Ich weiß keinen Weg heraus aus dem Wald, keine Menschenseele wohnt darin. Nun muss ich sicherlich verhungern.“
Es ging herum, suchte einen Weg, konnte aber keinen finden. Als es Abend geworden war, setzte es sich unter einen Baum, befahl sich Gott, und wollte da sitzen bleiben und nicht weggehen, möchte geschehen, was immer wollte. Als es eine Weile so gesessen hatte, kam ein weißes Täubchen zu ihm geflogen und hatte ein kleines goldenes Schlüsselchen im Schnabel. Das Schlüsselchen legte es ihm in die Hand und sprach: „Siehst du dort den großen Baum? Daran ist ein kleines Schloss, das schließe auf mit dem Schlüsselchen, und du wirst genug Speise finden und keinen Hunger mehr leiden.“ Da ging es zu dem Baum und schloss ihn auf und fand Milch in einem kleinen Schüsselchen und Weißbrot zum Einbrocken dabei, dass es sich richtig satt essen konnte.
Als es satt war, sprach es: „Jetzt ist es Zeit, wo die Hühner daheim auf ihre Stangen fliegen. Ich bin so müde. Ach! Könnte ich mich doch auch in mein Bett legen.“ Da kam das Täubchen wieder geflogen und brachte ein anderes goldenes Schlüsselchen im Schnabel und sagte: „Schließ dort den Baum auf, und du wirst ein Bett finden.“ Da schloss es auf und fand ein schönes weiches Bettchen. Da betete es zum lieben Gott, er möchte es behüten in der Nacht, legte sich hin und schlief ein. Am Morgen kam das Täubchen zum dritten Mal, brachte wieder ein Schlüsselchen und sprach: „Schließ dort den Baum auf, und du wirst Kleider finden.“ Als es aufschloss, fand es Kleider mit Gold und Edelsteinen besetzt, so herrlich, wie sie keine Königstochter hat. Auf diese Weise lebte es da eine Zeit lang. Alle Tage kam das Täubchen und sorgte für alles, was es bedurfte, und hatte ein stilles, gutes Leben.
Einmal aber kam das Täubchen und sprach: „Willst du mir etwas zuliebe tun?“ „Von Herzen gerne!“, rief das Mädchen. Da sprach das Täubchen: „Ich will dich zu einem kleinen Häuschen führen. Gehe dort hinein. Drinnen, am Herd wird eine alte Frau sitzen und ‚guten Tag’ sagen. Aber gib ihr bloß keine Antwort, egal, was sie anfangen mag, sondern geh zu ihrer rechten Hand weiter, da ist eine Türe, die mach auf, und du wirst in eine Stube kommen, in der eine Menge von Ringen allerlei Art auf dem Tisch liegt. Darunter sind prächtige mit glitzernden Steinen. Lass diese liegen und suche einen schlichten heraus, der dort mit dabei sein muss. Ihn bringe zu mir her, so schnell wie du kannst!“
Das Mädchen ging zu dem Häuschen und ging durch die Türe hinein. Drinnen saß eine Alte, die machte große Augen, als sie es erblickte, und sprach: „Guten Tag, mein Kind.“ Es gab ihr aber keine Antwort und ging auf die Türe zu. „Wo willst Du hinaus?“ rief sie und fasste es beim Rock und wollte es festhalten. „Das ist mein Haus, da darf niemand herein, wenn ich’s nicht haben will.“ Aber das Mädchen schwieg still, machte sich von ihr los und ging gerade in die Stube hinein. Da lag auf dem Tisch eine übergroße Menge von Ringen, die glitzerten und glimmerten ihm vor den Augen. Es warf sie herum und suchte nach dem schlichten. Doch konnte es ihn nicht finden. Wie es so suchte, sah es die Alte, wie diese daher schlich mit einem Vogelkäfig in der Hand und damit fort wollte. Da ging es auf sie zu und nahm ihr den Käfig aus der Hand. Wie es ihn aufhob und hineinsah, saß ein Vogel darin, der hatte den schlichten Ring im Schnabel. Da nahm es den Ring und lief ganz froh damit zum Haus hinaus. Sie dachte, das weiße Täubchen würde kommen und den Ring holen, aber es kam nicht.
Da lehnte es sich an einen Baum und wollte auf das Täubchen warten. Wie es so stand, da war es, als würde der Baum weich und biegsam und senkte seine Zweige herab. Und auf einmal schlangen sich die Zweige um es herum, und waren zwei Arme. Als es sich umsah, war der Baum ein schöner Mann, der es umfasste und herzlich küsste und sagte: „Du hast mich erlöst und aus der Gewalt der Alten befreit, die eine böse Hexe ist. Sie hatte mich in einen Baum verwandelt. Alle Tage ein paar Stunden war ich eine weiße Taube. Solange sie den Ring besaß, konnte ich meine menschliche Gestalt nicht wieder erhalten.“ Da waren auch seine Bediensteten und Pferde von dem Zauber frei, die sie auch in Bäume verwandelt hatte, und standen neben ihm. Da fuhren sie fort in sein Reich, denn er war eines Königs Sohn. So heirateten sie sich und lebten glücklich und zufrieden bis an ihr Lebensende.