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Der Blog des Goldseelchen-Verlags
Ein medienethischer Einwurf zur aktuellen Staffel von GNTM
Germany’s Next Topmodel auf Pro Sieben, Folge 10. Am Ende ist Teilnehmerin Theresia in Tränen aufgelöst. Sie schleppt sich mit der vorgebrachten Begründung, als Model nicht zu taugen, weil sie nicht tanzen könne, hinter die Bühne. Auch hinter der Bühne läuft die Kamera weiter. Noch nach Sendeschluss hält das Event an. Zuschauende solidarisieren sich mit oder gegen Theresia. Stimmen werden laut, Kandidatin Lena hätte den Rauswurf viel eher verdient. Zeitgleich gewinnt der Instagram-Account von Modelanwärterin Simone über Nacht 30.000 Follower. Simone wurde am Abend als Mobbing-Opfer vorgestellt. Das bringt Quote und Fans.
Identifikation mit Stereotypen
Der Reiz am Format liegt darin, dass sich die Zuschauenden mit einzelnen Teilnehmerinnen identifizieren können. „Lena“ – nicht die wirkliche Person Lena, die sich im letzten Sommer für die Teilnahme an der Reality Show qualifiziert hat, sondern die Figur „Lena“, wie sie im TV gezeigt wird – ist die rotzfreche Göre, die unverstellt sagt, was sie denkt – zu jung, um vermeiden zu können, dabei in Fettnäpfchen zu treten. Die Siebzehnjährige kann für das stehen, was viele junge Zuschauerinnen kennen. Ihr Motto könnte beschrieben werden als „Better an Ooops than a What if“. Und die weinende „Theresia“? Freilich ist sie unterhaltsam, aber die Möglichkeiten der Identifikation mit ihr sind sehr begrenzt: Die Hamburgerin ist mit 26 Jahren zu alt für die junge Zielgruppe und gleichzeitig steht sie nicht für das, wo viele Zuschauenden gerne sein wollten, wenn sie ebenso alt sind. Sie wird als schräg und verrückt gezeigt, aber in einer befremdlichen, schwer zugänglichen Weise. Die Sendezeit ist damit für sie abgelaufen.
Von der Person zur Karikatur und umgekehrt
Was wir im TV sehen, sind keine wirklichen Personen. Auch wenn die Teilnehmerinnen sich nicht als Schauspielerinnen für Rollen beworben haben, sind sie so ausgewählt und die Schnitte so gesetzt, dass Rollen daraus entstehen. Was wir sehen, ist eine Art Karikatur der wirklichen Person. Der Karikaturist nimmt Züge, die eine Person hat, wahr und verzieht sie komplett ins Extrem. Andere Facetten, feine Nuancen werden dabei weggelassen. Das ist der Sinn der Karikatur. Das macht aber auch die Parteinahme der Zuschauenden so schwierig. Da wird Figur „Simone“ als Opfer gezeichnet, die Figur „Sarah“ als Täter. Im Anschluss an die Sendung aber wird die wirkliche Person Simone von Zuschauenden auf deren persönlichen Plattformen in sozialen Medien wirklich unterstützt, während die wirkliche Sarah von Zuschauenden wirklich beleidigt wird.
Zwischen Marktwirtschaft und Verantwortung
Hier wünsche ich mir mehr ethische Reflexion durch Produktion und Berichterstattung mit entsprechenden Konsequenzen. Dass am Ende keine Kandidatin gewinnen darf, die im Vorfeld durch von der Menge als unmoralisch qualifiziertes Verhalten gezeigt wurde, ist nämlich offensichtlich. Auffällig wird da ein Schnitt gesetzt, wenn Favoritin Sayana gerade den Mund aufmacht, um sich selbst negativ in Bezug auf das inszenierte Opfer zu äußern. Das darf nicht sein. Damit würde sie nicht nur als Karikatur, sondern auch als Person langfristig unvermarktbar werden. Das macht deutlich, dass die Dynamik von Täter- und Opferbildung und Stigmatisierung durch eine Menge längst erkannt ist, aber damit marktwirtschaftlich statt verantwortlich umgegangen wird. Von einem Unternehmen muss man nichts anderes erwarten. Im Blick auf tatsächliche Missachtung, die eine wirkliche Person im Anschluss an das Format erfährt, darf aber sehr wohl an eine Verantwortung erinnert werden.
Reflexion statt blinder Massenbewegung
Natürlich sind die Teilnehmenden erwachsen oder zumindest alt genug, einen freien Willen erklären zu können, doch gehe ich davon aus, dass vielen erst, wenn sie ihr vermeintliches „Ich“ selbst in der Ausstrahlung sehen, klar wird, dass sie für eine Rolle gebucht waren. Die natürliche Reaktion ist vielfach von Teilnehmerinnen zu hören: „So bin ich gar nicht!“. Sinnigerweise müssten sie, wenn sie das wirklich erkennen, auch erkennen, dass Unterstützung wie Hass durch Zuschauende, insbesondere auf Instagram-Accounts, nicht ihnen als Person gilt, sondern der Rolle von ihnen, die ausgestrahlt wird. Ich hoffe, das tun sie in gesunder Distanz. Und ich wünsche mir ein kritisches Publikum, das lernt zwischen Karikatur und Person zu unterscheiden und damit blinden Hass wie blinde Glorifizierung, gefährlich getragen in einer Masse von 30.000 jungen Menschen über Nacht, gar nicht erst entstehen lassen.
sophie in Medien am 17.04.2019 um 17.34 Uhr
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