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Der Blog des Goldseelchen-Verlags
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Wie die Erinnerung beschönigt

Früher war alles gleich


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Bild: Uli
 (© Eckdose)

Wenn sie Unwahrheiten erzählt, wird sie kein bisschen rot. Eine lange Nase bekommt sie auch nicht: Die Erinnerung ist ein ziemlich guter Lügner. Das liegt daran, dass Erinnerung nicht dazu angelegt ist, eine objektive Sicht auf Ereignisse zu erhalten. Alles, was wir sehen, hören, denken, fühlen beeinflusst auch das, was wir je gesehen, gehört, gedacht und gefühlt haben. Mit der Zeit verändert sich jede Erinnerung.

Wer kennt nicht das Phänomen, dass man sich an eine Filmszene oder ein Zitat erinnert, in denen etwas ziemlich lustig, sehr treffend und dazu noch unterhaltsam dargestellt würden? Sobald man die betreffende Stelle nachsieht, wird man enttäuscht feststellen, dass die Erinnerung da einiges beschönt und verbessert hat. Dass das Original vielleicht doch ganz gut war, verblasst angesichts der Version in der Erinnerung.

Dieses Phänomen gibt es auch bei Ereignissen, die ein Mensch selbst erlebt hat. In der Erinnerung neigen Bewertungen in die Extreme zu rutschen. Zwar ist der Mensch auch fähig, Urteile abzuwägen, neu zu treffen oder neuen Erkenntnissen anzupassen. Das gilt beispielsweise für Beziehungen zu anderen Personen und für gelernte Inhalte. Die zuvor vergötterten Eltern können nach einigem Nachdenken und Nachvollziehen als Rabeneltern verteufelt werden. Oder eine Ideologie, die einem zutiefst zuwider war, mit der ausschließlich negative Erfahrungen verknüpft waren, erscheint nach einigen Begegnungen und inhaltlichen Auseinandersetzungen als annehmbar oder vernünftig.

Jedoch gerade dann, wenn ein Erlebnis als ureigen empfunden wird, wenn mit diesem Erleben mehr Gefühle als äußerliche Handlungen verbunden sind, ist das Abwägen und nüchterne Bewerten seltener der Fall. Ein erinnertes Glücksgefühl wird wohl kaum jemand schlecht reden wollen, nur weil die naturwissenschaftliche Aufklärung dieses Glück als ausgeschüttete Hormone darstellt.

Viele nachhaltige Eindrücke entziehen sich der Beschreibung durch Sprache. Der Blick vom Berggipfel auf die Täler im Abendrot war einfach so unbeschreiblich. Für das Gefühl, als man dem Partner zum ersten Mal begegnet war, fehlen alle Worte. Oder die Musik, die an jenem Tag lief, hat so eine Stimmung verursacht, wie sie sich nicht wiederholen lässt.

Es gibt in der Erinnerung Punkte, die Meilensteine sind. Phasen, Augenblicke intensiven Glücks, die entweder wehmütig stimmen, weil sie verflossen sind. Oder die glücklich stimmen, weil ihr Glanz auch auf das Jetzt abstrahlt.

Lassen sie sich je wieder erleben? Lassen sie sich neu herbeiführen?

Oft schimpfen wir auf gegenwärtige Entwicklungen. Der Zustand der Zeit wirkt sehr verderbt, dass früher vieles besser schien. Manche versuchen, dieses merkwürdige Schimpfen über die Gegenwart und das Loblieb auf die Vergangenheit damit zu erklären, dass älter werdende Menschen nicht mehr Schritt halten können mit neueren Errungenschaften und Einstellungen. Das mag sein.

Die glücklichsten Ereignisse liegen jedoch in der Vergangenheit, die deshalb eine glückliche, eine bessere Zeit gewesen sein muss. Sie kommt nie wieder.

Es wäre ein Fehler, das Erleben mit den Erinnerungen an das, was war, zu vergleichen. Erinnerungen sind zwar Teil unserer Realität, aber liegen auf einer anderen Ebene. Einzelheiten sind es, die ein ganzes Formen. Das, was die Erinnerung erzählt, ist nie so gewesen. Darum kann diese verklärte Zeit nie wieder kommen.

Das braucht sie auch nicht.

Denn die Erinnerung wird auch in Zukunft die jetzige Gegenwart maßlos übertrieben darstellen.

Uli in Philosophie am 21.11.2013 um 19.11 Uhr

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