Dieser Netzauftritt verwendet Sitzungs-Cookies
Näheres erfahren Sie in der Datenschutzerklärung.
Der Blog des Goldseelchen-Verlags
Unzuverlässigkeit zwischen Schuld und Begabung
Bist du unsportlich?
Kein Problem – gerne gibt man zu, dass die Beweglichkeit eingeschränkt ist. Dass den Marathon zu laufen eher andere bestimmt sind.
Bist du unmusikalisch?
Auch kein Problem. Es gibt Menschen, die singen schöner, spielen besser Saxophon, übernehmen gerne die Chorleitung. Lässt sich meist ohne Neid zugeben.
Bist du unzuverlässig?
Beim Sport, beim Musizieren, Kochen, Kinder-Erziehen oder Lernen haben viele Menschen erkannt, dass sie nicht Meister dieses Faches sind. Andere können es möglicherweise besser, sind hier oder dort besonders „begabt“. Vielleicht wäre noch etwas Neid dabei, dass man gerne schnell laufen, gut singen, lecker kochen, verständnisvoll zuhören oder mit schneller Auffassung lesen möchte. Doch die Sterne sind nun mal so gefallen, wie sie liegen. Mit Anstrengung lässt sich vielleicht die richtige Lauftechnik oder das Spiel nach Noten lernen. Doch Begabung, körperliche und geistige Ausstattung, liegt nicht in der eigenen Hand.
Niemand dagegen ist wenig verlässlich. Selbst dann nicht, wenn durch eigenes Verhalten diese dumme Eigenschaft nicht mehr abstreitbar wäre.
Wer beim Laufen zu langsam ist, erkennt an den Ergebnissen, dass die Sportwette doch eher nicht auf ihn abgeschlossen werden sollte.
Wer unrhythmisch spielt, erkennt an den Ergebnissen, dass für die gute CD-Aufnahme besser nicht er selbst am Instrument sein sollte.
Und wer beispielsweise immer wieder Termine übersieht, sollte an den Ergebnissen auch erkennen, dass er besser nicht sicher einzuplanen ist.
Ob jemand, der unzuverlässig auftritt, diese Erkenntnis hat, ist schwer heraus zu finden. Zugeben wird es niemand.
Bist du unzuverlässig?
Auf den Vorwurf der Unzuverlässigkeit reagieren die meisten Menschen erstaunlich gleich: Mit einem Dementi.
„Nein, so bin ich nicht. Ich bin nicht unzuverlässig. Du kannst XYZ fragen. So bin ich wirklich nicht.“
Der Sportler, der eine miese Saison hatte, wird sich beim Versagen ärgern und wundern. Er wird wieder einen guten Lauf bringen. Allen wird er seine Begabung zeigen.
Der Musiker, der es vergeigte, wird entsetzt über seinen eigenen Auftritt ein paar Stunden mehr üben. Beim nächsten Mal wird er alles geben.
Wer startet den Versuch, die eigentliche Verlässlichkeit zu beweisen? Kaum jemand wird sich bemühen, sein wahres verlässliches Wesen zu zeigen, das nur durch unglückliche Zufälle nicht sichtbar war.
Unzuverlässigkeit ist unbeliebt. Anders als Unsportlichkeit oder fehlende Musikalität gilt sie als Mangel, der selbst verursacht ist. Man wäre selbst daran schuld. Doch Schuld will niemand haben.
Wer wirklich unzuverlässig ist, kann sich darum nur schwer entschuldigen. Er sieht es einfach nicht ein. Deshalb wird er seine Unzuverlässigkeit abstreiten. Glaubwürdiger wäre es, die Verlässlichkeit zu zeigen, es somit anderen Begabungen gleich zu tun.
Weil der Unzuverlässige das aber nicht tut, kann er nicht planbar sein. Oder er will sich nicht festlegen.
Wenn Unzuverlässigkeit eine Art Begabungsmangel wäre, sollte man dazu auch stehen können.
Wer nicht schnell läuft und das auch sagt, wird dennoch beim Laufen bejubelt werden.
Wer unmusikalisch ist und das auch weiß, könnte trotzdem am Lagerfeuer mitgrölen.
Wer unzuverlässig ist, könnte vielleicht spät, aber immer noch, dazukommen. Oder auch nicht. Aber es wäre dann schön. Man hatte sich ja darauf eingestellt.
So etwas kommt nicht vor. Verlässliche Unzuverlässige gibt es nicht. Der Unzuverlässige ist seiner Schuld überführt. Das nächste Mal, wenn er mit Dementis an die Decke geht, hört man besser nicht zu. Es wäre schade um die Zeit.
Uli in Gesellschaft am 29.09.2013 um 14.27 Uhr
Werkzeuge: |