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Der Blog des Goldseelchen-Verlags
Der Fall des Herrn zu Guttenberg
Die Einzelheiten sind längst bekannt. Zu Guttenberg hat für seine Doktorarbeit abgeschrieben. Täglich tauchen neue plagiierte Passagen auf. Die Web-Community hilft zusätzlich bei der Aufklärung. Die Bayreuther Universität muss nun entscheiden: Wird der Doktortitel entzogen? Wird er nicht entzogen, disqualifiziert sich die Uni. Wird er entzogen, disqualifiziert sich zu Guttenberg für sein Amt. Das behaupten zumindest viele.
An sich ist ein Plagiat unspektakulär. So was kommt täglich vor – und wenn es herauskommt, ist das unangenehm für den Betroffenen. Warum also noch mehr Worte darüber verlieren? - weil die unzähligen Berichte und Kommentare in den Medien einen blinden Fleck haben! Das Spektakel sagt nämlich mehr über sie aus, als über zu Guttenberg. Wir müssen uns fragen: Warum dieser Aufruhr? Der Fall ist so interessant, weil er uns zeigen kann: So funktioniert unsere Gesellschaft! Er hält unserer Gesellschaft einen Spiegel vor.
Wenn ein Mensch auf der Straße ins Mikro spricht: „Einen Betrüger können wir als Minister nicht gebrauchen!“ Was sagt uns das? Ein Minister sollte doch eigentlich gute Politik machen. So dachten wir das immer. Sein wissenschaftliches Versagen steht auf einem anderen Blatt – oder der urheberrechtliche Verstoß? „Sich mit fremden Federn zu schmücken“, wurde ihm vorgeworfen. Die „beklauten“ Zeitungsredakteure sind empört. Ihr Selbstbewusstsein scheint daran zu hängen. Inwiefern sollte das politisch brisant sein? An allen Fronten scheinen sich die Grenzen zu verwischen: Die Promotion zeigt eigentlich eine wissenschaftliche Qualifikation an. Außerhalb der Wissenschaft führt der Doktor ein Eigenleben des sozialen Prestiges. Das Führen des Doktortitels ist der Karriere förderlich. Wurde der Doktortitel erschummelt, verkehrt sich das Prestige ins Gegenteil. So funktonieren die sozialen Mechanismen. Wenn ein Oppositionspolitiker sich über zu Guttenberg empört: „Dieser Verlust der Glaubwürdigkeit lege einen Rücktritt nahe. Er solle sein Amt niederlegen.“ Was passiert dann eigentlich? In der Politik geht es doch um die Ausübung von Macht. Die Moral scheint hier die beste Waffe, einen parteipolitischen Gegner auszuschalten. Ist das etwa moralisch glaubwürdiger? Der Einblick in die Psyche eines fremden Menschen bleibt uns hingegen verschlossen. Sind die Massenmedien erst einmal angestachelt, erhöht sich der Druck der Erwartungen ins schier Unermessliche. Fein säuberliche Unterscheidungen zwischen Wissenschaft, Recht, Politik und Moral lassen sich nicht mehr kommunizieren.
Der Fall des Herrn zu Guttenberg bietet eine großartige Chance: Statt zu verurteilen, sollten wir nun ernsthaft über unsere Gesellschaft nachdenken.
T.Urban in Gesellschaft am 18.02.2011 um 21.11 Uhr
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http://d1.stern.de/bilder/stern_5/politik/201
1/KW07/guttenberg_netz/guttenberg_netz_4_maxs
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eliv am 19.02.2011 um 00.02 Uhr.
Deine Beobachtung, dass die Vor-Verurteilungen mehr über die Urteilenden aussagen als über den Betroffenen, fällt schnell auf. Allein die Kampagnentexte auf der Süddeutschen sind aufgeblähtes Nichts.
Die Spirale, die sich dreht, könnten nur die Urteilenden bremsen. Durch die Vermischung, die Du beschreibst, wird die Richtschnur an sich uneinheitlich. Den Maßstab setzte der Angeklagte selbst.
Nun will er als Mensch gemessen werden, wo er sich vorher als moralisch reinen Übermenschen inszenierte. So wird klar, dass er Amt und Person nicht trennte. Wo aber soll diese Erkenntnis hinführen? Er selbst hat sich nachhaltig belastet, hier noch zu \\"erlösen\\". Ein Schritt à la Kässmann 2010 oder Strauß in den 1960ern kann oberflächlich befreien. Ehrlich wäre das aber nicht.
Uli am 19.02.2011 um 09.51 Uhr.
Du bringst eine Ergänzung ein, die ich selbst für sehr wichtig halte. Für unsere Moderne gilt: Wer medial erfolgreich sein will, muss auch sein Privatleben medialisieren. Das nennen wir dann „Authentizität“ etc.
[In den USA ist dieser Prozess noch sehr viel fortgeschrittener. Für alle offenkundig wurde das in den 80ern, als ein Schauspieler, nämlich Ronald Reagan, an die Macht kam.]
Und diese zur Schau gestellte „Glaubwürdigkeit“ kann sich medial auch rächen. Man wird am eigenen Maßstab gemessen. Zu Guttenberg galt als makelos. Er verstand die mediale Inszenierung sehr gut - zielstrebig, eloquent und mit einer hübschen und intelligenten Frau verheiratet. Er hatte genug Neider. Jetzt schlägt die Keule zurück.
Im Fall Käsemanns empfehle ich weiterhin den exzellenten und streitbaren Artikel „Moral ist keine Religion. Der Protestantismus, der Fall einer deutschen Bischöfin und der Verlust von Unterscheidungen“ von Friedrich W. Graf.
http://www.nzz.ch/nachrichten/kultur/aktuell/moral_ist_keine_religion_1.5134617.html
Tobi am 19.02.2011 um 21.29 Uhr.
guter artikel, das bild dazu find ich saugut
M am 03.03.2011 um 13.17 Uhr.