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Der Blog des Goldseelchen-Verlags
Kurzgeschichte. Teil 1
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Da, wo ich nun in Mantel, Schal und Winterstiefel verpackt durch den Schnee stapfte, waren wir im Sommer gestanden. Das Kind hatte mich durch seine Zahnlücke nuschelnd gefragt, was ich da tue. Als ich gewissenhaft ehrlich geantwortet hatte, dass ich meinen Kofferraum entlade, hatte ich nach dem Namen fragen können. So wusste ich, dass das Kind Manuel hieß, und ich stieß nun ein unbeirrtes „Hallo, Manuel!“ ins Nichts, als von irgendwoher ein Schneeball an mir vorüber flog. Die verpackte Zahnlücke rutschte grinsend auf den Knien mit einem weiteren Schneeball im Fäustling hinter einem Auto hervor.
„Hallo“, baute sich Manuel vor mir auf und blickte empor. „D-Du hast mir doch mal den Hund geschenkt.“, „Ja“, bestätigte ich. „Hast du ihn noch?“ „Ja, der w-wohnt in mein – in meim Zimmer aufd- auf der F-Fensterbank.“ Manuel neigte zum Stottern, wenn er sich im direkten Gespräch befand. Im Sommer hatte er den kleinen Stoffhund in meinem Auto hängen gesehen. Jemand hatte den Hund „Daggles“ genannt und so mehrere Wortspiele verknüpft. Aber das wollte ich dem Großstadtjungen nicht erklären. Er hatte mir damals nur erzählt, dass er einen Hund brauche. Unbedingt. Einen richtigen.
Die Frage nach dem Warum und Wieso konnte er gar nicht so recht verstehen. Mein längeres, mühevolles Nachfragen, das Gepäck noch immer unter den Armen, hatte hervorgebracht, dass der nun mutige Schneeballschütze Angst hatte. Der Hund müsse ihn beschützen. Also hatte ich den festgezurrten Baumelhund genommen und seiner Bestimmung übergeben. „Darf ich den wirklich haben?“, hatten die leuchtenden Augen gefragt. „Joah, den schenk ich dir. Dann passt der auf dich auf, bis du ’nen richtigen Hund hast.“ „Sch-schenkst du den mir in ä-hächt?“ „Ja.“ Seitdem betrachtete mich der Hundehalter als persönlichen Ansprechpartner beim Blödsinnmachen auf der Straße.
„Wohin gehst du jetzt?“ – „Muss in’ Netto. Brauch noch ’nen Saft.“ – „W-Wozu?“ Dumme Kinderfrage. Zum Trinken natürlich. Und nun brauchte ich den Saft, weil ich als Selbstsozialisationsmaßnahme eine Einladung zum Glühweintrinken und Plätzchenessen angenommen hatte. Als gäbe es nicht genug Menschen, die allein seien. Aber nein: Ausgerechnet in der Zeit von Terrorismuswarnungen konnte ich mich vor Glühweintrinkeinladungen kaum retten. Wo doch jeder Schritt vor die Haustüre quasi eine Lebensbedrohung darstellte.
„Kann ich mit?“, tapste das Stimmchen neben mir her. „Nee, sorry, Manuel. Die haben nur mich eingeladen.“ Beim Weitergehen hörte ich ein Schicksal-ergebenes In-den-Schee-fallen-lassen. Immerhin. Im Herbst hatte ich einmal zwei Straßenblöcke lang vergeblich versucht, das Kind zur Umkehr zu bewegen. Es war erst gelungen, als es mir zeigen wollte, wie schnell es laufen könne. Durch das Schaufenster einer türkischen Bäckerei herausblickend hatte ich dann das verwirrt suchende Kind auf der Straße beobachtet. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Im Weggehen traf mich als späte Rache ein Schneeball in den Rücken. „Donk“, machte es. Der Aufprall ließ mich vorübergehend aus dem Gleichgewicht kommen. Der Hund war wohl für die Katz’.
Uli in Literatur am 23.12.2010 um 22.14 Uhr
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