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Der Blog des Goldseelchen-Verlags
Eine Nachricht bildet nachbleibende Einstellungen
„Guten Abend, meine Damen und Herren. Die Deutschen leben wieder in einem souveränen, freien und geeinten Land. Fünfundvierzig Jahre nach dem zweiten Weltkrieg endete in der vergangenen Nacht die deutsche Teilung.“
Knappe Worte für eine geschichtsträchtige Nachricht verwendete am 3. Oktober 1990 der Sprecher der „Tagesschau“. Drei Adjektive sind es, mit denen er mehr über die Meinung und Haltung der Medien sagt, als mit purer Berichterstattung angemessen wäre.
Abgesehen davon, dass diese zwei Sätze, die sich einem Ausschnitt aus Richard von Weizsäckers Rede zur „Wiedervereinigung“ anschließen, das Nachrichtenflaggschiff schon damals als unkritisches Sprachrohr der Regierung präsentieren, hielten sie keiner kritischen Wahrheitsprüfung stand. „Souverän“, „frei“ und „geeint“ ist die Wortwahl, die sicherlich nicht unbewusst war. Trotz der Falschaussage. „Souverän“ bedeutet „unumschränkt“, „überlegen“. In einem souveränen Land zu leben, hieße, das Land an sich wäre stärker als andere Länder, hätte unumschränkte Herrschaft. Nachdem ein Objekt fehlt, meinte der Sprecher vermutlich die Souveränität im Sinn einer politischen Unabhängigkeit.
Im damals gegenwärtigen Glauben war die Bundesrepublik im Geschichtsverlauf an sich bereits souverän, handelte angeblich in eigenen Interessen und war dank dieser Freiheiten der bessere der beiden deutschen Staaten. Dass die Mächtigen des Landes seit seiner Gründung 1949 stets beim Amtsantritt die Souveränität der westlichen Siegermächte per Unterschrift zu akzeptieren hatten, wurde erst nach 2000 publik gemacht und wenig beachtet. Mit der Tatsache, dass die Länder der DDR dem Geltungsbereich des Grundgesetzes beigetreten waren, blieben die politischen und wirtschaftlichen Strukturen der Westzone bestehen. Das gilt sowohl für Bündnisse und für alle politischen lateralen Beziehungen.
Die Hörigkeit den Vereinigten Staaten gegenüber wurde zwar nicht gleich am 3. Oktober 1990 dem Volk offenbar. Doch Gelegenheiten boten sich, besonders in der Politik. Wirtschaftliche Verflechtungen und ausbleibende Zeichen einer Souveränität bleiben leider nach wie vor im Dunkeln.
Das Attribut „frei“ an sich ist ein so oft missbrauchtes Wort, dass es auf jede Gefangenschaft und Unfreiheit jeglicher Art ungestraft und ungelogen angewandt werden kann. Wie beim Hartz IV können Grenzen gedehnt oder gestrafft werden. Im Käfig ist der Gefangene auch frei, kann er doch zwischen Tür und vergittertem Fenster frei lustwandeln, soviel er will.
„Geeint“ spricht in dieser Wahl bereits für den passiven Vorgang. Von Medien euphorisch gestimmt, freuten sich die Deutschen in den ersten Momenten der Änderung über die Einigung. Weder aktiv „vereint“, noch ganzheitlich „vereinigt“ sind die Länder worden. Wichtig ist, dass dieser Ausdruck oder diese Umschreibung die eigentliche Nachricht enthalten soll. Souverän und frei sei der westdeutsche Staat ja bereits an sich gewesen. Irgendwo zwischen zusammengerückt, zusammengefügt und fusioniert befindet sich die Neuerung des Zustandes, der mit dem „geeint“ gemeint ist.
„Einigkeit“ ist ein Zentralbegriff politisch-gesellschaftlich-medialen Strebens nach Einrichtung der Bundesrepublik gewesen. Als Schlagwort der Hoffmann-von-Fallersleben’schen dritten Strophe zierte es auch den Rand des Zwei-Mark-Stücks. Im deutschen Ost-Teil trällerten bis der Obrigkeit die Lüge zu peinlich war die vereinten Scharlerkehlen in der Eisler’schen Fassung das Lied vom „Deutschland, einig Vaterland“. Seltsam, dass der Bericht von der angeblich 1990 vollzogenen und vollendeten Einigung Deutschland nur über ein „geeintes“ Land sprechen möchte.
Vielleicht ist Wortwahl ehrlicher und treffender gewesen, als ihr eingangs unterstellt worden ist. In der Medienrealität war längst oder war noch offenbar, dass souverän, frei und geeint das deutsche Völkerrechtssubjekt zwar sei, doch volksregiert, unabhängig und einig eine andere Kategorie wäre. Irgendwie traurig, dass man 1990 nur dafür sorgen konnte und wollte, dass die Länder geeint sein würden. So wurde eine deutliche Lücke und Grenze in den Gedanken errichtet, die auch heute noch teilt.
Die Mauer wurde zweimal gebaut. 1961 und 1990. 1961 sorgte die ostdeutsche Regierung dafür. 1990 errichteten sie die westdeutschen Medien.
Uli in Medien am 16.10.2010 um 15.41 Uhr
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