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Der Blog des Goldseelchen-Verlags
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Fünf Stolperfallen für den Kopf

Stolperstein – Stolper-mal!


Bild: T.Urban
 (© Eckdose)

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Nun dient ein Mahnmal aber nicht nur dem Erinnern, sondern ist selbst auch ein Kunstwerk. Der Künstler hinter den Stolpersteinen ist Günter Demnig. Er fertigt die Steine in Handarbeit an. Ein befreundeter Künstler hilft ihm mittlerweile, da er das Arbeitspensum nicht mehr allein bewerkstelligen kann. Demnig verdient seinen Lebensunterhalt mit den Steinen, die auch urheberrechtlich geschützt sind. Wer selbst auf die Idee käme, Stolpersteine herzustellen, der machte sich strafbar. Er hätte ein Plagiat angefertigt, auch wenn es ihm allein um das Andenken einer/ eines bisher Ungenannten ginge. Doch dieser Aspekt der Verrechtlichung und Ökonomisierung eines Mahnmals als Kunstwerk trifft noch nicht die eigentliche Problematik: Die Frage wäre, in welchem Verhältnis das Mahnmal überhaupt zur Kunst steht? Nicht neu ist es, dass ein Künstler hinter einem Mahn- bzw. Denkmal steht. Die künstlerischen Ausdrucksformen haben sich gewandelt, doch wurden Künstler schon lange vor der Antike für ihre Denkmäler gerühmt. Das Neue ist die Funktion der Kunst in einer modernen Gesellschaft. Die Kunst lernt, dass nur sie selbst für ihre Sprache zuständig ist – nicht einmal die Natur ist maßgeblich. Nichts von außen kann ihr vorschreiben, was Kunst ist und was nicht. Es ist zunehmend die Rede von der „Autonomie der Kunst“, wohl in Anlehnung an Kants „Selbstzweck der Kunst“: „Schön ist das, was ohne Begriff allgemein gefällt.“ Darin liegt die Zweideutigkeit des Mahnmals: Ich kann den Stolperstein rein ästhetisch betrachten; es braucht keine Erinnerung, kein Gedenken an die Opfer. Kunst und Erinnern muss sich aber nicht ausschließen. Die Kunst lebte einst von der Unterscheidung von schön und hässlich. Seit dem 18. Jahrhundert verschiebt sich der Code der Kunst immer mehr zur Unterscheidung von interessant und uninteressant, wie Niklas Luhmann scharfsinnig beobachtet. Ein Stolperstein kann Interesse erwecken, wenn ich an ihm vorbeigehe. Und in diesem Interesse ist auch Platz für Erinnerung. Luhmann hätte in seiner gewohnt nüchternen Sprache von einer „strukturellen Kopplung“ gesprochen.

(5) Opfersein im moralischen oder außermoralischen Sinne?

Die Stolpersteine sollen an Menschen erinnern, die Opfer des Nationalsozialismus waren. Neben Roma und Sinti und anderen Minderheiten sind es vor allem Juden, denen die Stolpersteine gedenken sollen. Jüdisch zu sein, ist im ursprünglichen Sinne eine religiöse Identität. Selbstverständlich gilt es uns heute, dass jemand Jüdin/ Jude und Deutsche/ Deutscher zugleich sein kann. Genauso wie es heute Israelis gibt, die sich selbst nicht als Juden bezeichnen würden. Durch die Verfolgungen der Jahrhunderte und insbesondere durch den Holocaust wurde diese religiöse Identität weitgehend zu einer Identität der Solidarität mit der jüdischen Geschichte und ihren Schicksalen. Wenn ein Mensch aufgrund seiner Abstammung sagen kann: "Ich bin Jüdin/ Jude", obwohl sie/ er nach Selbstauskunft nicht religiös ist, dann hat das mit einer tief verwurzelten Solidarität zu tun. Diese Solidarität ist eine Solidarität mit der jüdischen Geschichte, die dabei ganz zu eigenen wird – auch gerade eine Solidarität mit Opfern von Verfolgten.

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T.Urban in Geschichte am 01.02.2011 um 21.30 Uhr

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Kommentare

Kommentar:

Ein nahezu enzyklopädisches Nachdenken über die Stolpersteine Danke, Tobi - Sie haben Dich also nicht nur angestoßen. Zum Letzten hätte ich noch eine Ergänzung bzw. einen Einspruch: Die Rolle des Opfers anzunehmen, bedeutet eine Loslösung von Schuld. Als Opfer werde ich nicht mehr zur Verantwortung gezogen. Und die Position würde neue Handlungsräume eröffen. Auf diese Weise solidarisiert sich die Sekte TOS mit den Holocaust-Opfern, um moralische Hemmungen zu überwinden...

Uli am 02.02.2011 um 09.07 Uhr.


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