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Der Blog des Goldseelchen-Verlags
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Aufgabe des Menschen: Gib den Dingen Namen

Etikettenschwindel


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Bild: Uli
 (© Eckdose)

Dem Menschen wird es nicht leicht gemacht, seine Aufgabe zu finden. Einer sucht sie mit religiösen Antworten zu finden, ein Anderer betrachtet sogar die Suche nach einer Aufgabe als die wesensmäßige Bestimmung. Gemeinsam ist dem allen der Wunsch, die selbstgefüllte Zeitspanne des Lebens möglichst sinnvoll zu verbringen.

In den Epochen der Geschichte gab es unterschiedliche, mehr oder weniger angenommene Ideen, was den Sinn betrifft. Bei den antiken griechischen Philosophen rangen Stoiker und Epikureer um Vorherrschaft. Tag für Tag möglichst aufopferungsvoll zu verbringen stand gegen das Konzept, das Leben zu genießen. Auch heute gibt es die Hedonisten, die den egoistischen Genuss über alles stellen. Und es gibt solche, die sich vor Aktionismus und Aufopferungsbereitschaft zu verlieren glauben.

Natürlich stellt auch die Bibel die Frage nach der Aufgabe des Menschen. Besonders viele mögliche Antworten finden sich auf den ersten Seiten im Buch Genesis. Hier sind so viele Ideen versammelt, dass sich die Urgeschichte als eine Art Menschenkunde lesen lässt. Der erste Schöpfungsbericht (1. Buch Mose, Kapitel 1) stellt den Menschen als ein Geschöpf unter vielen dar. Seine Aufgabe ist es hier, die Erde zu befüllen und verantwortungsvoll mit den Mitgeschöpfen umzugehen. Im zweiten Schöpfungsbericht (1. Buch Mose, Kapitel 2) wird der Mensch von Gott handwerklich aus Ackerlehm geformt. Er bekommt eine stellvertretende Rolle, soll sich um den Garten Eden kümmern. Und: Den Tieren soll er Namen geben.

Die Aufgabe, alle Geschöpfe zu benennen (und einzuordnen), ist auch eine sehr moderne Aufgabe. Unsere Naturwissenschaften gehen ihr im Großen und Ganzen nach. Der Rest der Menschheit, jeder, der kein Naturwissenschaftler ist, ist damit aber nicht von der Aufgabe entbunden. Namen brauchen wir, um über etwas reden zu können, um überhaupt etwas oder jemanden wahrzunehmen.

Aus dem unscheinbaren Schatten hinten wird bei genauerer Betrachtung ein Kirschbaum, der etwas Wasser bräuchte. Aus der ungeordnet brummenden Wolke wird bei genauem Hinsehen ein Schwarm von Bienen, von denen jede ihr eigenes Aussehen und Verhalten hat.

Um diese Feinheiten zu bemerken, muss ein Mensch sehr aufmerksam sein. Den gegenwärtigen Menschen gelingt es nicht einmal, ihre eigenen Kinder zu benennen. Anstatt ein Neugeborenes kennen zu lernen, sein Wesen und sein Wirken zu erfassen – und schließlich zu benennen, bekommt es ein Etikett. Ein Etikett, das die Eltern schon vor der Geburt, oft schon vor der Zeugung beschlossen hatten. Ein Mensch ist nicht mehr Individuum mit eigenem Namen, sondern, je nach Milieu, Ben oder Mia, Elias oder Sophie.

Vordergründig sind es vier verschiedene Namen. Doch kommen nicht nur vier Kinder zur Welt, sondern deutlich mehr. Eltern und solche, die es werden möchten, greifen für ihre Etikettierung aber nicht auf die Fülle an möglichen Namen zurück. Stattdessen orientieren sie sich an einer winzigen Auswahl, bei denen die nächsten Modenamen bereits feststehen. Auf der Suche nach Namen, die scheinbar individuell sind, wird dann das Etikett beschlossen, das noch kein bekanntes Kind besitzt. Ist das Kind dann aber Jahre später da, könnte eine vierzügige Grundschule mit Ben-, Mia-, Elias- und Sophieklassen gefüllt werden.

Erstaunlicherweise wird die Auswahl durch die weltweite Vernetzung nicht größer, sondern nur gleicher. So zeichnet sich die Tendenz ab, Modenamen mit Buchstaben-Wechseln vermeintlich individueller zu gestalten. Ben wird Ken, Mia wird Lia, Elias zu Liam, Sophie zu Sofia. Passender wird dadurch kein Name. Der Mensch verkündet durch das Etikett nur seine Unfähigkeit, der Benennungs-Aufgabe nachzukommen.

Was er sich sogar sparen könnte. Ein Kind wird selten bei seinem Etikett gerufen. Piepst eine Mutter „Mäuschen“ oder „Schätzchen“ in den Raum, fühlen sich alle Ben, Mia, Elias und Sophie zugleich angesprochen.

Früher war es jedoch kaum besser. Im Mittelalter gab es Heinrich und Konrad, Mechthild und Kunigunde in solchen Mengen, dass man Familiennamen zur Unterscheidung einführen musste. Die altdeutschen zweigliedrigen Personennamen hatten noch ihre Bedeutung, waren Wünsche oder Herkunftsanzeigen. Bernhard etwa ist der Bärenstarke, Walburga die Beschützerin der Helden. Theoderich – wörtlich etwa der „Reiche aus der Gesellschaft“ – war Vater von Amalaswinta. Der erste Namensteil „Amala-“ verweist auf ihre Herkunft aus dem Geschlecht der Amaler. Ob da das Wesen der Benannten besser getroffen wurde als mit Mia oder Elias, lässt sich heute nicht mehr klären.

Die eigene Namenswahl einem Menschen selbst zu überlassen, wie es in China Sitte ist, eignet sich auch nicht für jeden. Heutzutage sind viele überfordert, sich aus freien Stücken für eine Weltanschauung, ja sogar für ein Tattoo zu entscheiden, dem sie ein Leben lang treu bleiben. Sollte das Benennen der Mitgeschöpfe tatsächlich eine Aufgabe des Menschen sein, dann ist diese Aufgabe zu schwer für ihn.

Uli in Gesellschaft am 19.04.2015 um 18.58 Uhr

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