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Der Blog des Goldseelchen-Verlags
für Tagfalter und Nachtdenker

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Gar nicht so einfach, Nächster zu sein

Der Nächste, bitte


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Urheber: Bild nach Vincent
van Gogh (1853-1890)
 (Creative Commons)

„Wer ist mein Nächster?“, fragt der gebildete Mann. Vorher hatte er noch gefragt, was er tun muss, damit er ewig lebt. Die Antwort war gewesen, er solle Gott lieben aus vollen Kräften und mit seinem ganzen Dasein und seinen Nächsten lieben wie sich selbst. Diese Antwort hatte der gebildete Mann schon selbst gewusst. Sie steht nämlich in den Geboten.

Gedanken hatte sich der gebildete Mann bereits gemacht. Für ihn steht außer Frage, wer Gott ist. Was diese umfassende Gottesliebe sein soll, ist ihm auch schon klar. Wer er selbst ist, weiß er auch. Vielleicht weiß er auch, dass er sich selbst der Nächste ist. Doch was genau dieses Gebot heißen soll, dass er einen, seinen Nächsten so wie sich selbst lieben soll – da fragt er besser noch einmal nach.

Eine Antwort, wie man sie kennt, die bekommt der gebildete Mann nicht. Der, den er fragt, gibt keine einfachen Antworten. Der, den er fragt, der stellt Gegenfragen. Denn er will, dass die Menschen selbst auf die Antworten kommen. Wenn eine weitere Frage nicht gleich zu den Antworten führt, erzählt er Geschichten.

So auch jetzt. „Wer ist mein Nächster?“, fragt der gebildete Mann. Die Antwort ist eine Geschichte von einem Menschen, der auf Reisen ist. Der Mensch aus der Geschichte wird überfallen und bleibt schwer verletzt liegen.

Es ziehen nacheinander hoch angesehene Leute vorbei, Leute, die als sehr fromm gelten, deren Leben und Kultur hoch geschätzt werden. Man könnte meinen, diese Leute lieben Gott so umfassend, wie es das Gebot verlangt. Doch all diese Leute bringen es nicht fertig, sich um den Verletzten zu kümmern. Sie lassen ihn links liegen.

Nun geht einer des Weges, der als wenig fromm gilt, dessen Leben und Kultur verachtet wird. Man könnte vielleicht sagen, er wäre ein Asozialer, einer, der am Rand der Gesellschaft steht. Wie dieser die Welt sieht, wird von den Meisten missbilligt. Als Abschaum wird er verschrien.

Gerade dieser Außenseiter lässt den verletzten Menschen aber nicht liegen. Er leistet Erste Hilfe. Dann bringt er ihn an einen Ort, wo der Verletzte gepflegt wird. Geld lässt er da, bezahlt die Pflege aus eigener Tasche. In ein paar Tagen werde er noch einmal vorbei kommen und weitere Kosten zahlen, sagt er.

Damit ist die Geschichte zu Ende. Der sie erzählt hat stellt dem gebildeten Mann eine weitere Frage: „Wer ist der Nächste für den Verletzten in dieser Geschichte gewesen?“ Die Antwort weiß der gebildete Mann: „Derjenige, der ihm Gutes getan hat.“

Abschließend gibt der Geschichtenerzähler noch einen Auftrag an den gebildeten Mann: „Dann geh los und mach das Gleiche!“

Vielleicht geht der gebildete Mann wirklich los und versucht, das Gleiche zu machen. Vielleicht trifft er Menschen, die verletzt sind. Möglicherweise bleibt er stehen und hilft ihnen. Wahrscheinlich trifft er aber keine Verletzten. Er verbringt womöglich den Rest seines Lebens damit, Ausschau zu halten, ob in seiner Umgebung Verletzte sind.

Die Geschichte ist schwer zu verstehen. Ist ihre Aussage „Hilf Menschen in Not“? Wer sie so versteht, kann sich als guter Mensch fühlen und tut vielleicht auch wirklich Gutes auf der Welt.

Der die Geschichte erzählt hat, sagt am Schluss aber nicht: „Dann geh los und hilf Verletzten.“ Sondern er sagt: „Mach das Gleiche!“.

Seinen Mitmenschen die Nächste oder der Nächste zu sein bedeutet nicht, nach Menschen Ausschau zu halten, die Hilfe brauchen. Wer das tut, geht wie die hoch angesehenen Leute am Verletzten vorbei und übersieht ihn. Die oder der Nächste für seinen Mitmenschen zu sein bedeutet, dem Menschen, dem man begegnet, zu geben, was ihm fehlt. Das kann medizinische Hilfe sein. Oder ein nettes Wort. Oder Aufmerksamkeit. Oder ein Danke. Oder „nur“ ein Lächeln.

„Wer ist mein Nächster?“, fragt der gebildete Mann. Und Jesus lächelt nickend, denn der Mann weiß jetzt die Antwort.

Uli in st.eckdose am 26.05.2013 um 14.22 Uhr

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